Die Profiteure

WOZ: In 1hrem Stück "Louverture stirbt 1803" geht es um die Verbindungen zwischen der Schweiz und Halti vor 200 Jahren. Wie sehen diese aus?

Hans Fässler: 1758 wurde auf Haiti der Sklave Macandal hingerichtet. Er hatte geplant, alle Weissen zu vergiften. Der Hinrichtungsplatz wurde von einem Detachement Schweizer Soldaten abgesichert. Und im 18. Jahrhundert gab es in Haiti Sklaven und Sklavinnen, an deren Transport in die Neue Welt Schweizer Kapital mitverdient hatte. Schweizer Handelshäuser profitierten von den Sklavereiprodukten Zucker, Tabak und Baumwolle aus Haiti. Als1803 in Haiti the Sklaverei wieder eingeführt werden sollte, kämpften 600 Schweizer Soldaten mit. Doch die offizielle Schweiz braucht wohl noch einige Zeit um zu erkennen, dass wir beträchtlichen Anteil am kolonialen Ausbeutungssystem hatten.,

Wie wurde Ihr Stück in der Schweiz aufgenommen?

Die 34 Auftritte haben über 4000 ZuschauerInnen gesehen. Die Reaktionen haben gezeigt, dass nach der Holocaustdebatte und der Diskussion um die Apartheidconnection die Bereitschaft gewachsen ist, sich mit dunklen Kapiteln der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen.

Sie haben das Stück auch in Haiti gezeigt.

In Port-au-Prince waren die Leute zuerst mal überrascht, dass ein Weisser aus Europa sich mit haitianischer Geschichte befasst. Nach dem Auftritt gab es
eine Diskussion mit dem Publikum. Die hat mich ziemlich gefordert.

Der Anlass Ihrer Einladung war die aktuelle Auseinandersetzung mit Frankreich um Haitis Unabhängigkeit.

Frankreich hat 1804 die Unabhängigkeit Haitis nicht anerkannt und versucht, sich die ehemalige Kolonie zurückzuholen. 1825 wurde dann - die französische Kriegsflotte lag bei Port-au-Prince vor Anker - Haiti ein Vertrag abgerungen: 150 Millionen Goldfrancs gegen die Anerkennung der haitianischen Unabhängigkeit. Diese Summe wurde später auf neunzig Millionen reduziert und entspricht heute zwanzig Milliarden US-Dollar. Dieses Geld
verlangt Haiti heute von Frankreich zurtick..

Stichwort Aristide: Was löste der Empfang bei Haitis Priäsident bei Ihnen aus?

Ich war etwas stolz, weil ich nie gedacht häitte, dass das Progranun eines Provinzkabarettisten aus der Ostschweiz bis nach Haiti ausstrablen würde. Wie viele andere Linke auch hatte ich einmal eine grosse Verehrung für "Titid" empfunden. Aber gleichzeitig fühlte ich mich als Verräter. Ich hatte einem haitianischen Freund versprochen, dem "Monsieur le Président" ein paar kritische Fragen zu stellen, schaffte es aber im offiziellen Rahmen des Empfangs
nicht.

Sie arbeiten weiter am Thema?

Die "Tournée Bicentenaire" schliesse ich im Februar ab. Aber seit Herbst plane ich ein Buch über die schweizerische Beteiligung an der Sklaverei und am transatlantischen Handel mit Sklaven und Sklavinnen. Daran möchte ich, zusammen mit anderen Historikern und Historikerinnen, die an diesem Thema dran sind - vor allem mit den Romands um Bouda Etemad in Lausanne - weiterarbeiten.

Haiti war die erste freie Republik in Lateinamerika und die erste schwarze Republik überhaupt, und dennoch ist die momentane Situation schlimmer als in den anderen Staaten Lateinamerikas.

Man darf einfach nicht vergessen, dass Haiti wohl etwa alle Nachteile und historischen Katastrophen auf sich vereinigt, die man als Land oder Nation auf dieser Welt haben kann: koloniale Unterwerfung und Genozid an der indigenen Bevölkerung, Ausbeutung als Sklavenkolonie, weitgehende Zerstörung in einem blutigen Revolutions-, Bürger- und Unabhängigkeitskrieg sowie politische Isolation und finanzielle Ausblutung durch Frankreich irn 19. Jahrhundert. Daran fügen sich die Existenz im "Hinterhof" der imperialen Grossmacht USA und die fast dreissig Jahre währende Duvalier-Diktatur im 20.Jahrhundert an.

"Louverture stirbt 1803", am 19. Februar in der Grabenhalle, St. Gallen.

www.louverture.ch