Geburt des k1einen weissen Kantons

Scharfzüngig aufbereitete Geschichtslektion von Hans Fässler zur Entstehung des Kantons St.Gallen

Kabarettist Hans Fässler klärte das grosse Publikum im "Tübli" Appenzell in einer doppelbödigen Collage aus historischen Fakten, soldatischem Liedgut und hintersinnigem Humor über den 200. Geburtstag des Kantons St.Gallen auf. Da fragte man sich unweigerlich, was hatten unsere Nachbarn denn da zu feiern?

Monica Dörig

Der Kabarettist, Historiker und Lehrer war vor 21 Jahren zum ersten Anlass der GfI-Kulturgruppe eingeladen worden. Als unbeirrbarer Kämpfer für seine Ideen und den Frieden, wie GfI-Präsident Josef Manser ihn am Samstagabend begrüsste, erhielt er, nachdem, er in St. Gallen politisch verfolgt wurde, in Ausserrhoden als Englischlehrer Asyl.


Vernetzung historischer Fakten

Mit seinem Jubiläumsprogramm "Louverture stirbt 1803", einer feinsinnigen Vernetzung historischer Fakten mit allerlei Zuständen, Begriffen der Alltagskultur, satirisch aufbereiteten Episoden und haarscharf persiflierten Figuren, regte er das begeisterte Publikum an, über die Ostschweiz und die in der Schule erworbenen Geschichtskenntnisse hinaus zu schauen in die Welt. Man war "in eine Doppellektion geraten" über die Sklaverei auf Haiti mit Schweizer Unterstützung.

Hans Fässler schlüpfte gekonnt mit wenigen Requisiten in die Rolle des Fernsehmoderators von Tele OHA, des Werbefritzen mit französischem Akzent, des niederländischen Auslandkorrespondenten, des Basler Volkskundlers und des Innerrhoder "Buuherrs".


Antikoloniale Geschichtslektion

Da war kein Satz belanglos, Querverbindungen waren geschickt gewoben, die antikoloniale Geschichtslektion öffnete so manchem die Augen.

Der Zeugungsakt des Kantons St.Gallen war auf einem grünen Tische in Paris vollzogen worden, auch wenn ein "obdachloser Ire" seine spirituelle Vaterschaft angemeldet hatte. "Die Entführung aus dem Detail", Begriffe von A wie Ausbeutung bis Z wie Zucker, der Dreieckshandel – plastisch veranschaulicht mit dem allgegenwärtigen Kreiselverkehr – und die lehrmeisterlichen Exkurse in die Historie wurden geschickt mit dem Hellraumprojektor illustriert. Die Lieder, deren Melodien Fässler bei Mani Matter oder Reinhard May ausgeborgt hatte, lockerten das anspruchsvolle Programm wohltuend auf; auch hier traf jede Zeile ins Schwarze.


Geburt des Kantons

Die aufmerksam Zuhörenden erkannten die Zusammenhänge zwischen dem Tod des grossen, schwarzen Mannes Toussaint Louverture aus Haiti und der Geburt des kleinen weissen Kantons St. Gallen. Was also habe ein Kanton zu feiern, dessen einziger Revolutionär Künzle heisse und Pöstler war und dessen Gründer Müller hiess und auch so aussah, fragte Hans Fässler.

Wie gefeiert worden ist bei unserem Nachbar, hat man letztes Jahr hier und dort miterlebt. Wenn Kantonsjubiläen Anlass sind für hochstehendes, feinsinnig freches Kabarett, dann sind sie, nach dem langanhaltenden Applaus des Publikums im voll besetzten Tübli zu schliessen, sehr zu begrüssen.