Appenzeller und der Sklavenhandel

Der Kabarettist Hans Fässler organisiert am Mittwoch
eine «Begegnung der drei Welten»

Trogen. Was haben Senegal, Haiti und Trogen miteinander zu tun?
Geschichtlich gesehen liegt das «Verbindende» im Sklavenhandel.
Zur Aufarbeitung der Vergangenheit lädt Kabarettist Hans Fässler am
Mittwoch, 17. September, zu einem «Rencontres des trois mondes».

TONI DÖRIG

Hans Fässler lebt in St. Gallen, man kennt ihn dort als engagierten
SP-Politiker, doch als Mittelschullehrer arbeitet er in Trogen. In seiner
Eigenschaft als Kabarettist wurde er auserkoren, sich mit einem
kulturellen Beitrag an der Feier aus Anlass des 200-jährigen
Bestehens des Kantons St. Gallen zu beteiligen. Ein «frecher», halt
eher ein satirischer Rückblick schwebte ihm vor, doch dann
befriedigte ihn dieser Ansatz nicht ganz, er begann zu grübeln, fragte
sich, was 1803 denn sonst noch los gewesen sei auf der grossen
weiten Welt, er begann zu «googlen» und stiess dabei
schwergewichtig auf Haiti. Damit stiess er auch auf den
Sklavenhandel, auf den Sklavenaufstand und auf den haitianischen
Sklavenanführer Toussaint Louverture. Das Thema packte ihn, er
forschte in Geschichtsquellen und es entstand das
Kabarettprogramm «Louverture», das unter anderem noch an den
Samstagen, 1. November, in der Kirche St. Leonhard in St. Gallen und
am 7. Februar 2004 im Restaurant Taube in Appenzell zu sehen sein
wird.

Schiffe voller Sklaven

Der Sklavenhandel begann im 16. Jahrhundert schon sehr früh nach
der Entdeckung Amerikas. Vereinfacht formuliert funktionierte es so:
Vor allem englische, spanische oder französische Schiffe fuhren mit
billigen Gebrauchswaren «irgendwohin» nach Afrika, tauschten den
geladenen «Ramsch» gegen schwarze Sklaven ein, fuhren zum
amerikanischen Kontinent (Brasilien, Jamaika, die Südstaaten der
heutigen USA, etc.), verkauften die Sklaven und kamen zurück mit
einer wertvollen Fracht aus Tabak, Zucker und anderen seltenen
Gütern. Den Schwarzen wurde dabei ihre Robustheit zum Verhängnis.
«Es tönt fast zynisch, dass sich zum Beispiel ein Missionar in Haiti im
Einsatz für die amerikanische Urbevölkerung, die Indianer, die
körperlich der schweren Arbeit auf den Plantagen nicht gewachsen
waren, dafür aussprach, als Ersatz schwarze Sklaven zu importieren»,
erzählt Hans Fässler. Obwohl die «Neger» kräftiger waren, wurden
auch sie zu Tode ausgepresst und einfach durch billige neue Sklaven
ersetzt. Am Ende des 18.  Jahrhunderts kam dann langsam vor allem
in kirchlichen Kreisen die Meinung auf, es sei nicht sehr menschlich,
wie man mit den Schwarzen umgehe. Deshalb sollte die Sklaverei
abgeschaft werden. Langsam ging man deshalb zu einer etwas
humaneren Sklavenhaltung über, die den Schwarzen ein Überleben
ermöglichte. Sie vermehrten sich und es mussten weniger neue
Schwarze importiert werden, um den Sklavenbedarf zu decken. Der
langwierige Prozess zur Abschaffung der Sklaverei begann konkret
1791 mit dem Sklavenaufstand in Haiti. Anführer Toussaint Louverture
erlebte die Unabhängigkeitserklärung seines Landes 1803 allerdings
nicht mehr. Er wurde kurz vorher gefangen genommen, nach Europa
verfrachtet und starb im Jura, im Fort de Joux. 1888 wurde die
Sklaverei auch in Brasilien als letztem Land verboten, doch der
Befreiungskampf dauerte eigentlich bis heute, wenn man zum
Beispiel an die Auseinandersetzungen über die
Rassendiskriminierung in den USA denkt.

Zellweger, Wetter usw.

Was hat das aber mit Trogen zu tun? Hans Fässler stiess bei seinen
Nachforschungen auf Verflechtungen der Schweiz mit dem
Sklavenhandel. Unter «www.louverture.ch / material / Sklaverei/
Sklavmat.html» hat er seine Ergebnisse, kantonal gegliedert, öffentlich
zugänglich gemacht. Unter Ausserrhoden sind einige interessante
Fakten zu lesen. Der Herisauer Johann Wetter gründete 1744 in
Marseille eine Stoffdruck-Manufaktur, deren Indiennes-Stoffe im
interkontinentalen Dreieckshandel (Europa, Afrika, Amerika) sehr
beliebt waren. Und der Reichtum der Zellweger-Familie in Trogen ging
zu einem gewissen Teil ebenfalls zurück auf diesen Dreieckshandel.
(Die Familien Wetter und Zellweger waren zerstritten, bis 1754 Jakob
Zellweger Anna Maria Wetter heiratete.) Johannes Tobler aus
Rehetobel, Begründer des Appenzeller Kalenders und Ausserrhoder
Regierungsrat, bevor er 1735 in die neue Welt auswanderte, genoss
seine durch Sklaven gewährleistete Bequemlichkeit: «Ich besitze nun
eine weitläufige Haushaltung, verschiedene gute und bequeme
Häuser, Scheunen, Hütten, Magazine von Landesprodukten und
Handelswaren, Knechte, Mägde, Neger, Ross und Vieh.» Ab 1760
führten zudem Ausserrhoder Bürger (Familie Schläpfer aus Speicher)
bei Berbice im späteren Britisch-Guayana eine auf Sklavenarbeit
basierende Plantage. Und um 1850 arbeitete ein Trogener (Jacob
Jakob) als Sklavenaufseher auf einer Plantage in Kuba.

Historische Sicht

Sicher darf man diese Fakten moralisierend bewerten, aber nicht
ohne das historische Umfeld zu berücksichtigen. Im 18. Jahrhundert
war es für die «Mehrbesseren» normal, dass sie Sklaven hatten, wie
auch die Aussage von Johannes Tobler eindrücklich beweist.
Trotzdem lassen sich mit dem Zeitgeist Quälereien bis zum Tode
unter keinen Umständen rechtfertigen. Und im Jahr 1850 wurde die
Menschenrechtsfrage bereits ausgiebig diskutiert. Wer damals - wie
der genannte Trogner - Sklavenaufseher war, kann sich kaum mehr
auf historische Blindheit berufen.

Frage der Mitschuld

Und wie sieht eine Bewertung aus heutiger Sicht aus? Weder die
Familie Zellweger noch die Familie Wetter hat - so viel man heute
weiss - selber mit Sklaven gehandelt, sie waren aber durch die
Beteiligung am florierenden Dreieckshandel Profiteure. Das ist
ähnlich schwierig zu bewerten, wie wenn heutzutage jemand einen
Teppich aus Kinderarbeit kauft: Macht er sich mitschuldig? Wichtig,
gerade auch für die afrikanischen Staaten , ist aber sicher, dass
Amerika und Europa selbst unangenehme Fakten anerkennen.
Allenfalls stellt sich auch die Frage der Wiedergutmachung.

Nachnachnachkommen

Zur Aufarbeitung der Geschichte lädt Hans Fässler am Mittwoch, 17.
September, im Festsaal der Ausserrhoder Kantonsbibliothek in
Trogen zur «Rencontre des trois mondes», ein Begriff, der in der
Karibik gebräuchlich ist für Beziehungen zwischen Afrika, Europa und
Amerika. Aus Senegal erscheinen wird Ibrahim Seck, Lehrer und
Nachnachkomme der vom Sklavenhandel betroffenen Schwarzen
Afrikas, und der Haitianer Jeannot Hilaire, Diplomat und
Nachnachkomme schwarzer nach Amerika verschleppter Sklaven.
Eingeladen war auch Elisabeth Pletscher, die als Nachnachkommin
der Familie Zellweger mit grosser Offenheit für dieses Problem die
Seite der Profiteure vertreten hätte, was ihr Unfalltod auf tragische
Weise verhinderte. Das Treffen wird nun aber trotzdem durchgeführt.
Jeannot Hilaire wird am Nachmittag dann in drei Klassen der
Kantonsschule Trogen unterrichten.
www.louverture.ch (Portal zu Hans Fässlers Kabarett- und
Geschichtsprojekt «Louverture stirbt 1803» zur schweizerischen
Beteiligung an der transatlantischen Sklaverei)