Dienstag 18. Februar 2003, 17:10 Uhr
Kabarettistischer Eklat zum St. Galler Kantonsjubiläum

St. Gallen (AP) Zum 200-Jahr-Jubiläum St. Gallens und der Mediation deckt ein Kabarettist Verwicklungen der Schweiz in die Sklaverei vor 200 Jahren auf. Während Bundespräsident Couchepin am historischen 19. Februar zu den Jubiläumsfeiern nach Paris reist, zeigt «Louverture stirbt 1803», was die Geschichtsschreibung bisher verschwiegen hat.

Eher zufällig sei er darauf gestossen, sagt der 50-jährige Hans Fässler, Historiker, Mittelschullehrer und politischer Kabarettist. Ursprünglich wollte er die bekannte Geschichte des Kantons kabarettistisch auf die Schippe nehmen. "Ich begann die Geschichte des Kantons intensiv abzuklopfen und entdeckte dabei ein paar wenige historische Arbeiten über die Beteiligung von Schweizer Bank- und Handelshäusem am Sklavenhandel in der Karibik vor 200 Jahren. Ich stiess auf Unternehmen und bekannte Familien in St. Gallen und anderen Kantonen, die Sklavenplantagen besassen und damit im 18. und 19. Jahrhundert ihren Reichtum begründeten und zum Wohlstand ganzer Regionen in der Schweiz beifrugen", berichtet Fässler.

Bei seinen Nachforschungen lernte Fässler auch das Schicksal des haitianischen Nationalhelden und Sklavenbefreiers Toussaint Louverture kennen. Napoleon Bonaparte wollte zwischen 1801 und 1803 mit einem grossen Expeditionsheer in der französischen Kolonie die Sklaverei wieder einführen. Im Auftrag des grossen Korsen schifften sich auch über 600 Soldaten aus der Schweiz ein. Fässler recherchierte in den Schiffs- und Soldlisten die Namen von Beteiligten an diesem Krieg und entdeckte darunter Offiziere aus berühmten Schweizer und St. Galler Familien.

Während Louverture nach der Gefangennahme durch die Franzosen in einem kalten Kerker nahe der Schweizer Grenze auf Fort Joux seinem Lebensende entgegensah, wurden in der Schweiz sechs neue Kantone geboren, und das Land erhielt aus den Händen Napoleons eine freiheitliche Verfassung. Als Napoleon mit der Absicht, den Bürgerkrieg in der Helvetischen Republik zu beenden, 60 Abgeordnete aus der Schweiz nach Paris bestellte, um auf der Konsulta eine föderalistische Bundesverfassung und 19 freiheitliche Kantonsverfassungen auszuarbeiten, reisten die Delegierten in ihren Staatskutschen im November 1802 am Fort Joux vorbei. Dort starb Louverture am 7. April 1803.

Fässler hat mit seinen historischen Recherchen Politikerinnen und Politiker in verschiedenen Kanton veranlasst, im Jubiläumsjahr der Mediation, welcher die Kantone St. Gallen, Thurgau, Aargau, Tessin, Graubünden und Waadt ihre Existenz zu verdanken haben, die Beteiligung an der Sklaverei zu hinterfragen. Auch der Bundesrat wird sich mit dieser Problematik befassen müssen, weil die St. Galler Nationalrätin Pia Hollenstein von den Grünen eine Interpellation einreichen wird. Laut Fässler interessieren sich auch der amerikanische Anwalt Ed Fagan, Jean Ziegler und verschiedene Historiker für das Kabarettprogramm und seine Enthüllungen.

Dass sich die offizielle Schweiz etwas schwer mit dieser Vergangenheit tun wird, beweist die St. Galler Regierung. Sie lehnte wie das Bistum ein Gesuch Fässlers ab, nach dem Vorbild der Franzosen im Jahr 1798 die «Tricolore» an den Klostertürmen beziehungweise als Alternative am Regierungsgebäude zu hissen. Abgelehnt wurde auch das Gesuch, den Leiter der haitianischen UN-Delegation in Genf, Jeannot Hilaire, zur Jubiläumsfeier einzuladen. Der Diplomat kommt als Ehrengast zur Premiere des Kabarettprogramms am Mittwoch trotzdem nach St. Gallen, und zwar in den Pfalzkeller direkt unter dem St. Galler Kantonsparlament, das am 15. April 1803 am selben Ort zum ersten Mal einberufen worden war.