Blinder Eifer um Strassennamen

Gegen die Umbenennung der Paul-Krüger-Strasse in St. Gallen wendet sich HSG-Professor Yvo Hangartner. Der Name stehe nicht für einen Rassisten, sondern für einen Freiheitskämpfer.

Für einen neutralen Beobachter ist der Eifer unverständlich, mit dem offenbar die Umbenennung der Paul-Krüger-Strasse in St. Gallen angestrebt wird. Wenn Strassen nach historischen Persönlichkeiten benannt und Denkmäler errichtet werden, dann vor allem deswegen, weil die Geehrten (losgelöst von den stets Licht und Schatten enthaltenden Einzelheiten ihres Lebens) für bestimmte als wertvoll erscheinende Ideen und Leistungen stehen.

Paul Krüger wurde geehrt als Personifikation eines kleinen Volkes, das sich, wenn auch vergebens, gegen eine Grossmacht wehrte. Er war Präsident von Transvaal, der neben dem Oranjefreistaat zweiten selbständigen Republik, welche die Nachfahren holländischer Siedler, die sogenannten Buren, in Südafrika errichtet hatten.

1899 bedrängte Grossbritannien die beiden Burenrepubliken, um sich der dort befindlichen Bodenschätze zu bemächtigen und die Expansion gegen Norden («Afrika britisch vom Kap bis Kairo») voranzutreiben. Der in der Folge von den Engländern mit grosser Brutalität geführte Kampf gegen die Burenrepubliken wurde in weiten Teilen Europas verurteilt. Die öffentliche Meinung auch in der Schweiz reagierte ähnlich wie 1939/40, als die Sowjetunion Finnland angriff.

Paul Krüger als Burenführer personifizierte den Widerstand der Burenrepubliken gegen den britischen Goliath. Die Schweiz gewährte Paul Krüger später Exil, wo er 1904 verstarb.

Die Wellen der Sympathie erreichten auch St. Gallen; deswegen der Name Paul-Krüger-Strasse. Nach diesen Tatsachen sollte sich auch die heutige Einschätzung richten. Zweifellos war Paul Krüger nach heutiger Beurteilung ein Rassist, weil er von der Überlegenheit der weissen Rasse überzeugt war und den Schwarzen (wie übrigens auch den Briten) die Gleichberechtigung in den Burenstaaten verweigerte. Dies sind jedoch zeitbedingte Aspekte.

Wollte man in allen Fällen analog fordern, Strassennamen zu ändern und Denkmäler zu stürzen, so müsste eine grosse Säuberung einsetzen. Dann müsste zum Beispiel die Erinnerung an die Reformatoren verschwinden, denn sie diskriminierten gleich wie die Führer der Altgläubigen wegen der Religion (was heute genau so verpönt ist wie die Diskriminierung wegen der Rasse). Der st. gallische Bürgermeister und Reformator Vadian etwa setzte sich massgeblich für die Bekämpfung der Täufer ein, einer protestantischen Religionsgemeinschaft, deren Anhänger zur Auswanderung gezwungen und in Zürich sogar umgebracht wurden.

Es wäre ahistorisch und kleinkariert, deswegen Strassennamen und Denkmäler, welche an die Ideen und Leistungen der Reformatoren erinnern, zu beseitigen. Ebenso unverständlich ist es, eine Paul-Krüger-Strasse umzubenennen, denn der Name steht nicht für die rassistischen Vorurteile von Paul Krüger, sondern für den Freiheitskampf eines kleinen Volkes gegen eine Grossmacht und für die Sympathien, welche die St. Galler der damaligen Jahrhundertwende für diesen Freiheitskampf und für Präsident Krüger als dessen Verkörperung empfanden.

Yvo Hangartner