Hans Fässler:
Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei
Rotpunktverlag Zürich 2005, 340 Seiten, SFr. 36.-, € 22.-, ISBN 3-85869-303-0

Patrizierhäuser, schmucke Dorfkerne, Stadttore, traulich krumme Gassen, herrschaftliche Landsitze, historische Mauerresten, alteingesessene Fabriken - die 19 attraktiven Ortstermine, die Hans Fässler uns gibt, führen uns vom Bodensee bis zum Genfersee. Doch lädt der Autor, Mittelschullehrer, Kabarettist und - wie er sich selbst bezeichnet - „Teilzeithistoriker“, keineswegs zum malerischen „Sightseeing“ sein, sondern führt uns auf eine Entdeckungsreise in ein ganz düsteres Kapitel der Schweizer Geschichte. Denn hinter den behäbigen Fassaden des Bürgertums spannten Unternehmer und Händler ihre Fäden von der Schweiz aus nach Afrika, nach Indien und über den Atlantik in die Karibik und die Südstaaten der heutigen USA, um im lukrativen „transatlantischen Dreieckshandel“ mitzumischen. Tücher, Schiesspulver und andere Exportwaren wurden unter Schweizer Flagge nach Afrika verschifft, dort gegen SklavInnen getauscht, die ohne Rücksicht auf Verluste nach Amerika verfrachtet wurden, wo man im Verkauf wiederum die begehrten „Kolonialwaren“ löste und nach Europa brachte. Financiers spekulierten mit den gewinnträchtigen Expeditionen. Bürgersöhne wurden nach Übersee gesandt, um Plantagen zu gründen und verlässliche Stützpunkte für die Welthandelshäuser zu betreiben. Andere verdingten sich als Söldner und ganze Schweizer Regimente wurden ausgehoben, um die Kolonialherren im Kampf um Landnahme und Vorherrschaft in Übersee zu unterstützen.

Ausgehend von den verschiedenen „Ortsterminen“ in der Schweiz zeichnet der Autor, akribisch nach, wie vom 17. bis ins späte 19. Jahrhundert Schweizer Kaufleute, Fabrikanten, abenteuerlustige Bürgersöhne und Auswanderer in Übersee Fortune suchten. Dabei gibt er Einblick in das weitverzweigte globale Beziehungsnetz der alpenländischen „Seefahrer“, auf das sie sich - längst bevor man von Globalisierung sprach - abstützen konnten, um ihre ausbeuterischen Geschäfte zu treiben. Seine Ausführungen untermauert er mit einem breiten Fundus an Dokumenten. Und sie machen eines klar: Der heutige Reichtum der Schweiz gründet - obwohl die Schweiz als Binnenland nie eine eigentliche Kolonialmacht war - auch auf dem Sklavenhandel und Kolonialgeschäft.

Hans Fässler hat das Verdienst, jetzt nach dem Raubgold aus dem Dritten Reich und der Apartheid-Unterstützung in Südafrika ein weiteres Kapitel der Schweizer Geschichte aufrollen zu helfen, das auf keinen Fall so makellos sauber ist, wie es die offizielle Schweiz gern sehen möchte. Gerade zu Südafrika bringt er auch Fakten zutage, wie Schweizer schon ab dem 18. Jahrhundert die Kolonialmächte am Kap unterstützten. Da lässt sich einen Bogen spannen bis zur jüngsten Vergangenheit und der Rolle der Schweiz im Apartheidstaat. Die Aufarbeitung der „Kolonialgeschichte“ der Schweiz tut Not - dafür setzt sich Fässler, der sich seit Jahren politisch engagiert, unter anderem in der Antiapartheid-Bewegung, dezidiert ein und legt konkrete Forderungen vor. Im Kapitel etwa über die Beteiligung von Basler Handelshäusern im „transatlantischen Dreieckshandel“ (siehe dazu auch akte-Kurznachrichten 4/2004) schlägt Fässler - ganz Lehrer - auch gleich ein sehr überzeugendes Modul mit sechs Bausteinen für den Geschichtsunterricht vor, das in Basler Lehrmittel einbezogen werden sollte. Zu hoffen ist, dass diese konkrete Anregung wie auch andere wichtige Anliegen bei den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern ankommen. Denn sie riskieren im Fakten- und Ideenreichtum, mit dem der engagierte Buchautor in seinen global verzweigten „Ortsterminen“ an die Leserschaft herantritt, unterzugehen.

Christine Plüss