Helvetia und die Sklaven

Der Bundesrat bedauert zutiefst schweizerische Beteiligungen am Sklavenhandel. Er will eine kritische Aufarbeitung fördern.

Von Bruno Vanoni, Bem

«Der Bundesrat bedauert zutiefst die Beteiligung schweizerischer Bürger, Unternehmen und Organisationen am Sklavenhandel.» Das schreibt der Bundesrat in einer Antwort auf eine Interpellation von Josef Lang (Grüne, ZG). Dieses uneingeschränkte Bedauern ist umso bemerkenswerter, als sich der Bundesrat in der aktuellen Zusammensetzung zu anderem historischem Fehlverhalten (Apartheid, Nazi-Zeit) deutlich verkrampfter geäussert hat.

Halbe Million Jahre Zwangsarbeit

Seit seiner ersten Stellungnahme hat freilich auch die Forschung einen besseren Überblick über das unbekannte dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte vermittelt: Laut einer Lausanner Studie waren Schweizer Investoren an der Deportation von 172 000 Sklaven von Amerika nach Übersee beteiligt – also an 1,5 Prozent des transatlantischen Sklavenhandels.

In einem faktenreichen und zugleich anschaulich und angriffig geschriebenen Buch rechnet der Historiker Hans Fässler vor, dass Sklaven auf 50 Schweizer Plantagen in Übersee eine halbe Million Jahre Zwangsarbeit verrichten mussten. Schweizer Söldner halfen, Aufstände niederzuschlagen. Fässler ist auch überzeugt, dass der Beitrag von Schweizer Intellektuellen «an die ideologische Untermauerung der Sklaverei und des mit ihr verbundenen Rassismus» die auch vorhandenen «Schweizer Beiträge zur Abschaffung der Sklaverei weit übersteigt».

Im Nachgang zu solchen Erkenntnissen ist der Bundesrat überzeugt, dass die Aufarbeitung der Ära der Sklaverei weitergehen muss: Sie müsse «im internationalen Rahmen sowohl politisch als auch wissenschaftlich beleuchtet werden», schreibt er in seiner Antwort auf Langs Interpellation. Und er verspricht, dass er «für die wissenschaftliche Aufarbeitung die nötigen Instrumente der Wissenschafts- und Forschungsförderung zur Verfügung» stelle.

Was dieses Versprechen genau bedeutet, wird sich erst noch weisen müssen. Immerhin kontrastiert es wohltuend mit Weigerungen karitonaler, kommunaler und privater Instanzen, die historische Aufarbeitung mit Akteneinsicht und fmanzieller Hilfe zu unterstützen. Den neuen Forschungsergebnissen, dass auch staatliche oder halbstaatliche Körperschaften am Sklavenhandel beteiligt waren, weicht allerdings auch der Bundesrat aus.


Bund und Kantone verwickelt

So war Bern, der mächtigste Stand der alten Eidgenossenschaft, im frühen 18. Jahrhundert laut Fässler mit Abstand der grösste Aktionär der Sklaven haltenden englischen Südsee-Gesellschaft. Der Kanton Solothurn investierte damals in eine Firma, die grosse Gewinne aus der Ansiedlung von Sklaven am Mississippi versprach. Die halbstaatliche Zürcher Bank Leu & Co. half Dänemark 1760 den Erwerb von Inseln finanzieren, die als Umschlagplatz fur Sklaven dienten. Und der Bundesrat rechtfertigte noch 1864, dass Auslandschweizer (und sein Generalkonsul) in Brasilien weiterhin Sklaven hielten.

Heute hält der Bundesrat fest, dass das damals «begangene Unrecht kritisch aufgearbeitet werden muss». Wie an der Weltkonferenz gegen Rassismus versprochen, sei die Schweiz «nach wie vor bereit», eine vermittelnde Rolle zwischen afrikanischen Staaten und ehemaligen Kolonialmächten einzunehmen.

Hans Fässler: Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei. Rotpunktverlag, Zürich 2006. 2. Auflage, 340 S., 36 Fr.

Die Geschichte einer ehemaligen Sklavin in den Jahren vor der Französischen Revolution auf einem Berner Patriziersitz erzählt Lukas Hartmann: Die Mohrin. Roman. Fischer-Taschenbuch. 272 S., 16.50 Fr.