19 Ortstermine in Sachen Sklaverei

«Louverture stirbt 1803»: Unter diesem Titel hat Hans Fässler bereits vor zwei Jahren im Rahmen des st.-gallischen Kantonsjubiläums auf die Verflechtungen der Schweiz und insbesondere der Ostschweiz mit dem internationalen Sklavenhandel des 18. und 19. Jahrhunderts aufmerksam gemacht. Was er damals in der Form einer kabarettistischen Revue quer durch den Kanton vorgetragen hat, erscheint jetzt ausgeweitet, minutiös recherchiert und zwischen Buchdeckeln unter dem Titel «Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei».

Fässlers zentrale These: Die Sklaverei ist kein Thema, das in exotische Fernen und weit zurückliegende Epochen gehört und das uns damit höchstens indirekt betrifft. Vielmehr verdienten auch Schweizer Unternehmer am weltweiten Geschäft mit Sklaven mit und verdankten etliche führende Ostschweizer Geschlechter zumindest zum Teil ihr Vermögen den ausbeuterischen Verhältnissen von damals. In 19 Kapiteln erzählt Fässler die Geschichte von Schweizer Kaufleuten, Bankiers, Siedlern, Reisenden und Offizieren nach, die als Kolonialisten ihr Glück und Geld machten. Dazu gehörte etwa der St. Galler Kaufmann Jacob Laurenz Gsell, dessen Geschichte und dessen Beurteilung der Sklaverei das oben nachgedruckte Kapitel erzählt. Dazu gehörten aber auch die Handelsdynastie der Zellweger, von deren Reichtum die Paläste im ausserrhodischen Trogen zeugen, oder die Gyger im thurgauischen Bürglen. Auch in Rorschach, Hauptwil, Näfels und vielen anderen Orten hat der St. Galler Historiker und Gymnasiallehrer Fässler Spuren gefunden.

Eine gewichtige Rolle in Fässlers Buch spielt der «Dreieckshandel» - ein Beispiel früher globalisierter Handelsbeziehungen, bei denen Sklaven aus Afrika, Rohstoffe aus Amerika und Manufaktur- und Industrieprodukte (u.a. Textilien) aus Europa im gegenseitigen Wechsel gehandelt wurden. Zitiert wird im Buch etwa der karibische Historiker Eric Williams, der argumentiert, der Sklavenhandel habe die europäische Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert wesentlich geprägt und die industrielle Revolution erst ermöglicht. Dass daran auch die Schweiz Anteil hatte, galt noch vor Kurzem als Tabu - die Schweiz habe «mit Sklaverei, Sklavenhandel und Kolonialismus nichts zu tun gehabt», lautete noch im Jahr 2002 die Antwort der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus auf afrikanische Entschädigungsforderungen. Während ein Jahr später der Bundesrat auf Interpellationen in der gleichen Sache schrieb, die Verbindungen von verschiedenen Schweizer Bürgern zum Sklavenhandel seien «allgemein bekannt» . . .

Wenn sie es heute tatsächlich sind, so ist dies nicht zuletzt Fässlers hartnäckiger Forschungs- und Publikationstätigkeit zu verdanken. (Su.)