Pikante Sätze zur Sklaverei

Ein Historiker, der Schweizer Verwicklungen in die Sklaverei erforscht, hat Politiker befragt – ausgehend von einem andern «historischen Unrecht», von Zürich im Jahr 1712 begangen.

Von Bruno Vanoni, Bern

Eine halbe Million Franken habe sich der Kanton St. Gallen den Kulturgüterstreit mit Zürich kosten lassen, schätzt der St.Galler Historiker Hans Fässler: Erst habe man die Geschichte des Raubzugs aufgearbeitet, den Zürcher Truppen 1712 nach St.Gallen unternahmen. Dann sei der Gerichtsweg geprüft worden, um die nach Zürich geschafften Handschriften und den legendären Globus aus dem heutigen Weltkulturerbe zurückzufordern. Schliesslich sei unter Vermittlung des Bundes im letzten Frühjahr ausgehandelt worden, dass St.Gallen einen Teil des Raubgutes zurückerhält – und dazu eine Globus-Kopie.

Die Belegung des langjährigen Kulturgüterstreits zwischen Zürich und St.Gallen sei ein «Schulbeispiel, wie man mit historischem Unrecht umgehen kann», sagt Hans Fässler. Er sagt es mit Blick auf ein «ungleich grösseres historisches Un-recht»: die Versklavung von zwölf Millionen Menschen aus Afrika in Amerika während viereinhalb Jahrhunderten. Wie stark Schweizer Privatpersonen, Firmen und staatliche Institutionen an der Sklaverei beteiligt waren und davon profitiert haben, hat Fässler letztes Jahr in einem Buch dargelegt. Den Ostschweizer Kampf um Wiedergutmachung des Kulturgüterraubs von 1712 hat er zum Anlass genommen, um St.Galler Prominenz zur Wiedergutmachung des Sklavereiskandals zu befragen. Gerne hätte er die Resultate der Umfrage vor dem geraubten St. Galler Globus im Zürcher Landesmuseum präsentiert. Doch dessen Leitung beschied, der anvisierte Vergleich entbehre «jeglicher materieller und wissenschaftlicher Grundlage».

Die befragten St. Galler Prominente fanden mehrheitlich auch, die Verknüpfung der beiden Themen sei nicht statthaft. Aber zwei Drittel anerkennen ganz oder teilweise den Anspruch, den Nachkommen von Sklaven auf «Rückerstattung von geraubten Kulturgütern, Identitäten, Lebenschancen und Arbeitsstunden» erheben. Finanzielle Entschädigung für Nachkommen könne «eine Forderung der Gerechtigkeit sein», meint etwa der frühere St. Galler Bischof Ivo Fürer.  

Die vier St. Galler SVP-Nationalräte wollten sich nicht auf eine «unfruchtbare Debatte über Schuld und Sühne in der Weltgeschichte» einlassen. Eine Mehrheit der befragten Politiker unterstützt jedoch eine heikle Forderung des Karibikstaates Haiti: Die ehemalige Sklavenkolonie will die 90 Millionen Goldfrancs zurück, die ihm Frankreich von 1825 bis 1946 abgepresst hat. Unterstützt wird diese Forderung namentlich von FDP-Ständerätin Erika Forster und CVP-Nationalrat Felix Walker.

Der grüne Zuger Nationalrat Josef Lang will nun mit einem Vorstoss erreichen, dass sich die Schweiz «zusammen mit andern kleineren Sklavereinationen» international für Wiedergutmachung einsetzt – nicht allein zu Gunsten Haitis. Mit einer Interpellation hat er dieses Frühjahr bereits erreicht, dass der Bundesrat die schweizerische Verwicklung in die Sklaverei «zutiefst bedauert» hat. Für den St. Galle Rechtsprofessor Rainer J. Schweizer ist die Anerkennung der Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit wichtig für di Gegenwart: «Das Bewusstsein für das histtorische Verbrechen hilft uns, das heutige Verbrechen des Menschenhandels sensibler wahrzunehmen.»