19.10.2006 -- Tages-Anzeiger Online

Historisches Unrecht aufarbeiten

Hans Fässler äusserte sich heute zur Frage «Schweiz und Wiedergutmachung der Sklaverei».

Nach den Worten des St. Galler Historikers Hans Fässler ist die Beilegung des Kulturgüterstreits zwischen Zürich und St. Gallen ein Schulbeispiel, wie man mit der Aufarbeitung historischen Unrechts – etwa der Sklaverei – umgehen kann.

Zürich und St. Gallen hatten sich im April im Streit um jene Kulturgüter geeinigt, die die Zürcher Truppen in den Villmerger-Kriegen 1712 in St. Gallen erbeutet hatten. Diese Einigung könnte auch den Weg zur Wiedergutmachung im Falle der Sklaverei aufzeigen, erklärte Fässler heute in Bern.

Fässler, der ein vieldiskutiertes Buch über die Schweizer Verstrickung in die Sklaverei verfasst hat, befragte St. Galler Politiker sowie Vertreter von Kirchen und Stiftsbibliothek zum Thema Kulturgüterstreit und Wiedergutmachung.

 

Problematik aufarbeiten

Eine Mehrheit der Befragten glaubte zwar nicht, dass sich die Beilegung des Kulturgüterstreits zwischen Zürich und St. Gallen auf die Wiedergutmachung im Falle der Sklaverei übertragen lasse. Andrerseits hielt aber auch eine Mehrheit die Forderungen nach Wiedergutmachung des Unrechts, das durch den Sklavenhandel entstand, für gerechtfertigt. Sklaverei und Menschenhandel

Für den St. Galler Rechts-Professor Rainer Schweizer, der den Kulturgüterstreit untersucht hat, geht es nicht darum, Nachkommen von Sklavenhaltern zur Rechenschaft zu ziehen. Angesagt sei vielmehr eine Aufarbeitung der Problematik sowie eine Klärung der Frage, was die Schweiz zur Linderung der Nachwirkungen des damaligen Unrechts beitragen könnte.

 

Wiedergutmachung soll Thema bleiben

Die historisch-juristische Aufarbeitung der Sklaverei könne dazu dienen, Probleme der Gegenwart besser zu erfassen – wie etwa den modernen Menschenhandel, unterstrich Schweizer.

Die Schweiz soll sich nach Meinung von Nationalrat Josef Lang «zusammen mit anderen kleinen Sklavereinationen» in der Uno und anderen Gremien dafür einsetzen, dass die Aufarbeitung der Sklaverei und die Wiedergutmachung ein Thema bleibt.

 

Schweiz soll vermitteln

Dazu will er im Parlament eine Motion einreichen. Ausserdem solle die Schweiz zwischen Haiti und Frankreich in der Frage der Rückerstattung der haitianischen «Unabhängigkeitszahlung» vermitteln.

Wie der haitianische Diplomat Jeannot Hilarie darlegte, auferlegte Frankreich 1825 seiner früheren Sklaven-Kolonie Haiti eine «Ablösungs-Zahlung» von 90 Millionen Goldfrancs. Haiti musste die Schulden bis ins 20. Jahrhundert hinein abzahlen. Das Land fordert die Summe nun zurück. (fwü/sda)