Hans Fässler
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Walter B. Kielholz
Präsident des Verwaltungsrates
Credit Suisse Group
Paradeplatz 8
8070 Zürich


St. Gallen, 10. Dezember 2007



Archivsperre in Sachen allfälliger sklavereirelevanter Akten der Bank Leu 

 

Sehr geehrter Herr Kielholz

Ich wende mich heute mit diesem Brief an Sie, weil ich befürchte, dass mit der Credit Suisse heute eine Schweizer Grossbank im Begriffe ist, die Fehler der 90er-Jahre zu wiederholen. Wie war es doch damals? Es ging um die Spuren eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit, um den Holocaust an den europäischen Jüdinnen und Juden, welche sich auf Schweizer Bankkonten und in Bankarchiven niedergeschlagen hatten. Und es ging um die Arroganz der Bankiers, welche glaubten, die Forderung der Nachfahren der Opfer, also der jüdischen Organisationen, vom Tisch wischen zu können. Der Schaden am Image der Schweizer Grossbanken und an demjenigen der Schweiz war – Sie wissen es – enorm. Vermutlich überstieg er die Summe von 1,25 Milliarden Dollar, welche im Bankenvergleich bezahlt wurde, bei weitem.

Auch heute geht es um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die UNO-Konferenz von Durban hat im September 2001 Sklaverei und Sklavenhandel zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt, und auch die Schweiz hat die Schlusserklärung mit unterzeichnet. Weil auch unser Land an der Ausbeutung von Dutzenden von Millionen Menschen afrikanischen Erbes im Atlantikraum beteiligt war, reichte am 2. April 2003 Renate Schoch auf meine Anregung im Zürcher Gemeinderat das Postulat "Sklaverei, historische Aufarbeitung" ein, welches sich nach der diesbezüglichen Vergangenheit Zürichs erkundigte. Das vom Gemeinderat am 14. September 2005 überwiesene Postulat führte schliesslich zum Bericht "Die Stadt Zürich und die Sklaverei –Verbindungen und Beziehungen", welchen die Historikerin PD Dr. phil. Béatrice Ziegler-Witschi und der Historiker lic. phil. Konrad J. Kuhn zuhanden des Präsidialdepartements der Stadt Zürich verfasst haben und welcher am übernächsten Mittwoch vom Gemeinderat der Stadt Zürich diskutiert werden soll.

In diesem Bericht ist zu erfahren das dass Zentralarchiv (Central Corporate Archive) der Credit Suisse Group mit Schreiben vom 15. August 2007 den Berichterstattenden mitgeteilt hat, eine Einsichtnahme in das Archiv sei für unabhängige Historiker – und damit auch für die Berichterstattenden – nicht möglich. Damit kann insbesondere die Geschäftstätigkeit der halbstaatlichen Bank Leu et Compagnie, deren sklavereirelevanten Aktivitäten durch die historische Forschung bereits teilweise belegt sind (Landmann 1905, Lüthy 1959), nicht weiter untersucht werden, zumal sich auch die unternehmenseigenen Dienste ausserstande erklären, die betreffenden Quellen aufzuarbeiten.

Was heisst nun dieser Entscheid? Er bedeutet erstens, dass nach den Auseinandersetzungen um die nachrichtenlosen Konten und die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und nach den Auseinandersetzungen um die schweizerische Unterstützung des Apartheidregimes in Südafrika (inklusive Aktensperre) nun bereits zum dritten Mal innert zweier Jahrzehnte eine Schweizer Grossbank zu allererst einmal alles abblockt, wenn es darum geht, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzuarbeiten und wiedergutzumachen. Hat wohl die Credit Suisse angesichts der Tatsache, dass sich die Apartheidklagen in New York (mit dem Anklagepunkt der Beihilfe zu den Verbrechen des Apartheidregimes) etwas hinziehen, plötzlich Mut gefasst? Hat man sich in den Chefetagen gesagt, die allfälligen Proteste der Nachkommen der Sklavinnen und Sklaven, welche z.B. auf den ehemals dänischen Antilleninseln St. John, St. Croix und St. Thomas wissen wollen, wer von der Sklavenarbeit ihrer Vorfahren profitiert hat, könne man in aller Ruhe aussitzen? Hat man sich im Verwaltungsrat gegenseitig beruhigt, die Menschen im Afrika südlich der Sahara und in der schwarzen Diaspora auf dem amerikanischen Kontinent hätten keine starken Pressure Groups , wie es die jüdischen Organisationen in den 90-Jahren darstellten? Oder ist das Geschäft nicht einmal bis in den Verwaltungsrat gelangt, sondern vom Central Corporate Archive selbstherrlich entschieden worden?

Der Entscheid der Aktensperre bedeutet zweitens, dass die Credit Suisse durch die 1990 erfolgte Übernahme der Bank Leu, die sie zur "Boutique im Weltkonzern" (Bank Leu CEO Hans Nützi) gemacht hat, die Hand auf historische Akten legt, welche ihr gar nicht gehören. Die Zinskommission Leu et Compagnie war von 1755 – 1798, d.h. während der sklavereihistorisch besonders interessanten Periode, eine halbstaatliche Institution, d.h. eine "unter öffentlicher Leitung und Aufsicht stehende Kommission zur Anlage staatlicher und privater Mittel" (Joseph Jung, Geschichte der Bank Leu, S. 11). Der eine Gründer der Zinskommission, Johann Jacob Leu, war bezeichnenderweise just in jenem Jahr 1760 Bürgermeister von Zürich, als die Bank sich an einer Anleihe zugunsten der dänischen Kolonialpolitik beteiligte. Der zweite Gründer, Hans Conrad Heidegger, war in diesem Jahr 1760 Zürcher Säckelmeister und 1771, als die Bank Leu ihr Plantagengeschäft mit St. Croix tätigte, ebenfalls Bürgermeister der Stadt Zürich. Die Verflechtung von Bank und Staat war als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts derart eng, dass die Akten mindestens zur Hälfte auch dem Staat Zürich gehören, das heisst, dass sich die Einsichtsnahme durch eine paritätische HistorikerInnen-Kommission (je hälftig Bank Leu bzw. Credit Suisse und Staat bzw. Stadt Zürich) geradezu aufdrängt.

Mit welchen Argumenten hat man nun seitens der Bank versucht, die Verweigerung des Aktenzugangs zu begründen? Man hat erstens auf Nachfrage mit dem Hinweis auf das Bankkundengeheimnis reagiert. Man muss sich das einmal vor Augen halten: 247 Jahre nach der Anleihe für den dänischen König und 236 Jahre nach dem Plantagengeschäft von St. Croix argumentiert eine Schweizer Grossbank mit jenem Rechtsinstitut, von dem sie sehr wohl weiss, dass es aus der ersten Hälfte der Dreissigerjahre des 20. Jahrhunderts stammt. Wäre die Bank Leu noch älter, man ist überzeugt, die Sprecher der Credit Suisse Group würden die rückwirkende Kraft des Schweizer Bankgeheimnisses bis in die Zeit der Medici oder der Fugger ausdehnen.

Zweitens ist seitens der Credit Suisse argumentiert worden, die Aufarbeitung der fraglichen Akten könne "von den unternehmenseigenen Archivdiensten nicht geleistet werden". Mit Verlaub, Herr Verwaltungsratspräsident, dieses Argument ist entweder lächerlich oder rassistisch. Denn wenn es um den Glorienschein des Bankgründers Alfred Escher geht, scheut man offenbar keinen Aufwand (Joseph Jung, Alfred Escher 1819-1882, 1115 Seiten!), ebenso wenig, wenn es um den Ruf und die "kritische Grösse" des letzten Bankpräsidenten geht (Joseph Jung, Rainer E. Gut, 400 Seiten!). Offenbar reichen darüber hinaus die Mittel immer dann aus, wenn die Champagnerkorken zum Jubiläum knallen, und auch die Archivtüren scheinen sich dann zu öffnen: Für die 150-Jahrfeier durfte der Basler Professor für Nationalökonomie Julius Landmann schreiben, zum 200-jährigen Bestehen der Bank erschien eine Denkschrift von Theo Keller, Mitglied der Forschungsgemeinschaft für Nationalökonomie an der Hochschule St.Gallen, und für die Jubiläumsbroschüre mit Golddruck "250 Jahre Bank Leu" zeichnete einmal mehr Joseph Jung (seit 1989 bei der Credit Suisse, heute Managing Director Credit Suisse Group) verantwortlich. Letzterer erweist sich darin auf den Seiten 12–16 als ausgewiesener Kenner der Bankgeschichte und ihrer Akten, d.h. es dürfte ihm nicht schwer fallen, die entsprechenden Aktenbestände zu bearbeiten, zumal er dazu auch noch auf drei Mitarbeiter (Schenker, Antunes, Wyss) aus dem Firmenarchiv zurückgreifen könnte, die ihn bei der Jubiläumsbroschüre offenbar tatkräftig unterstützt haben.

Wenn es um "ad majorem bancae gloriam" geht, so kann ich aus all dem nur schliessen, dann stehen die Ressourcen für die Aufarbeitung reichlich zur Verfügung, dann öffnen sich die Türen, und dann sind die schreibenden Fachleute aus nahe stehenden Kreisen zu finden. Wenn es aber um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht, um Sklaverei und Sklavenhandel, wenn Historiker Einsicht verlangen, die den Banken und ihrer Geschichte vielleicht kritischer gegenüber stehen als die Herren Landmann, Keller oder Jung, dann versiegen die Mittel und die Türen schliessen sich.

Es ist doch eine schöne Ironie der Geschichte, nicht wahr, Herr Verwaltungsratspräsident, oder vielleicht sogar eine List des Weltgeistes, dass an der Sandsteinfassade und im Logo der Bank Leu ausgerechnet der afrikanische Löwe prangt, das Wappentier jenes Kontinents, der seit 400 Jahren auf Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die grösste Zwangsmigration der Weltgeschichte wartet, für die Verschleppung von 12 Millionen Menschen über den Atlantik, in die Sklavenarbeit, das Elend und den Tod.

Vielleicht sollten Sie sich einmal mit der Familie Pourtalès in Neuchâtel zusammensetzen. Auch deren Vorfahren haben Geschäfte gemacht mit der Sklaverei, auch deren Bevollmächtigte haben ihre Archive geöffnet, wenn ein Historiker Einblick verlangte, von dem nichts zu befürchten war, den Zugang aber verweigert, wenn kritische Historiker aus dem Umfeld von "schwarzen" und politischen Organisationen Forschungen betreiben wollten. Mit einem Unterschied: Die Akten der Pourtalès sind in Privatbesitz, gehören also der Familie Pourtalès, den Nachfahren des "Königs von Neuchâtel", Jacques Louis Pourtalès (1722–1814).

In Zürich ist die Sache anders. Hier könnte es sein, dass eines Tages der vom Volk gewählte Stadtpräsident im Auftrag des vom Volk gewählten Gemeinderates Einsicht in die auch dem Zürcher Volk gehörenden Akten der Bank Leu verlangt. Sollten Sie sich dann vor die Türe des Central Corporate Archive stellen, könnte das allenfalls als "Behinderung einer Amtshandlung" angesehen werden. Ich möchte Sie darum am Ende dieses langen Briefes ersuchen, noch vor der Debatte im Zürcher Gemeinderat vom 19. Dezember 2007 den Stadtzürcher Behörden zu signalisieren, dass Sie zu einer einvernehmlichen Lösung, d.h. einer Einsichtnahme durch eine paritätische Kommission Hand bieten. Ihr Pressesprecher Biscaro hat übrigens am 19. Oktober 2007 gegenüber Radio Suisse Romande angedeutet, dass die Position der Credit Suisse offenbar gar nicht so unverrückbar sei. Sie könnten sich damit ersparen, dass ihre Bank wegen der transatlantischen Sklaverei für längere Zeit erneut im unangenehmen Fokus der Medienöffentlichkeit stehen wird, wie schon beim Holocaust und bei der Apartheid.


Mit freundlichen Grüssen

(Unterschrift)
Hans Fässler