«Wiedergutmachung ist möglich»

Hans Fässler präsentierte im Historischen Verein sein Buch über die Schweiz und die Sklaverei. Ob es am Ende ein Bestseller wird, wird sich zeigen. Zurzeit stösst Hans Fässlers Buch «Reise in Schwarz-Weiss» jedenfalls auf grosses Interesse.

P
eter Müller

Dass hinter Fässlers Buch nicht nur Historiker-Handwerk, sondern auch viel Leidenschaft und politisches Engagement steckt, merkte man beim Vortrag im Historischen Verein bald. Der Autor erklärte ohne Umschweife, dass die «sachliche Unparteilichkeit», die gewöhnlich von Historikern verlangt werde, für ihn beim Thema Sklaverei nicht in Frage gekommen sei. Im Grunde spiegelt und bricht sich in diesem Buch sein gesamtes, langjähriges Engagement als SP-Politiker. Das ist nicht unproblematisch: «Reise in Schwarz-Weiss» ist nicht untendenziös und macht geografisch, zeitlich und historisch-politisch oft rechte Sprünge. Umgekehrt ist aber gerade das auch sehr anregend und fordert zu eigenem Nachdenken heraus.
Wichtige Horizonterweiterung

«Neuland», wie ein Zuhörer vermutete, betritt Fässler hier allerdings nicht. Zum Thema «Die Schweiz und die Sklaverei» gab es schon vorher einzelne Aufsätze, und etwa zeitgleich mit Fässlers Buch entstanden in der Romandie und in Basel zwei andere Bücher: Ende der 90er Jahre, nach dem Ende des Kalten Krieges, war die Zeit für dieses Thema gemäss Fässler einfach reif. Zudem wurden die Stimmen aus dem schwarzen Lager immer zahlreicher und lauter, und mit ihnen die Rufe nach Wiedergutmachung. Wichtige Horizonterweiterungen liefert «Reise in Schwarz-Weiss» gleichwohl, zumal es im Gegensatz zu den andern zwei Büchern nicht als akademische Studie geschrieben ist. Fässler erwähnte als Beispiel einen pensionierten Lehrerkollegen, der ihn angerufen habe: «Ich habe zwar einiges über die Appenzeller Plattstichweberei publiziert, aber erst jetzt ist mir aufgegangen, woher die Baumwolle dazu stammte.» Warum kam man nicht vorher darauf? Fässlers Buch illustriert letztlich schön, dass jede Zeit ihre eigenen Fragen an die Geschichte hat.

«Wegwerf-Menschen»

Wird die Rolle der Schweiz in der Geschichte der Sklaverei letztlich aber nicht überschätzt? Ist am Ende sogar die seltsam masochistische Sehnsucht, «zu den Tätern gehört zu haben», im Spiel, wie der rechtsbürgerliche Leiter der Eidgenössischen Militärbibliothek den Autor in einem Mail provokativ fragte? Hans Fässler zeigt sich hier durchaus selbstkritisch. Letztlich ist für ihn aber die Zahl entscheidend. Nach Schätzungen von Historikern betrug der Anteil der Schweiz am transatlantischen Sklavenhandel ein bis zwei Prozent. «Das sind ein bis zwei Prozent zu viel». Zudem sei das Problem noch keineswegs Geschichte. Insbesondere in Haiti brenne es vielen Leuten noch immer unter den Nägeln, zumal die Frage der Wiedergutmachung noch immer offen sei. «Eine solche Wiedergutmachung ist schwierig, aber sicher möglich, wenn man sie ernsthaft will», meint Fässler. «Dazu braucht es eine Anzahl Schritte, eine gesellschaftliche Debatte und die Einbindung der Nachfahren der Opfer, das zeigte die Rehabilitierung von Paul Grüninger.» Zudem gebe es die Sklaverei noch heute. Nach Schätzungen von Experten leben rund 27 Millionen Menschen in Sklaverei oder sklaverei-ähnlichen Bedingungen. Fässler erwähnte in diesem Zusammenhang eine Studie, deren Titel man nicht so schnell vergisst: «Disposable People»? «Wegwerf-Menschen».