Communiqué, 26. September 2007

Bankkundengeheimnis nach 230 Jahren?
Credit Suisse muss Sklaverei-Archiv einer paritätischen Historikerkommission öffnen!

Man wähnt sich in Jean Zieglers Buch "Eine Schweiz über jeden Verdacht erhaben" aus dem Jahr 1976 zurückversetzt. Man glaubt zu lesen, wie der zornige Genfer Soziologe an einem Beispiel aufzeigt, wie die "kalten Monster der Schweizer Finanzoligarchie" mit allen Mitteln ihre "sekundärimperialistischen Interessen" verteidigen. Doch worum geht es heute im Jahr 2007 eigentlich?

Die halbstaatliche Bank Leu ("Zinskommission Leu", gegründet 1755) hielt Aktien der französischen "Compagnie des Indes", die zwischen 1719 und 1756 in ca. 130 Expeditionen mehr als 45’000 Menschen aus Afrika in die Sklaverei deportierte. 1760 beteiligte sich die Bank zusammen mit Genfer Investoren an einer dänischen Anleihe, mit der die Antilleninseln St. John, St. Croix und St. Thomas erworben wurden, womit ein wichtiger Umschlagplatz für Sklaven und Sklavinnen entstand. Im Jahre 1771 beteiligte sich die Bank Leu auch an einem Plantagengeschäft auf St. Croix und damit erneut an der karibischen Sklavereiwirtschaft. Ausserdem war Leu & Co. zu jener Zeit in Nord- und Mittelamerika finanziell engagiert, was ebenfalls auf eine direkte oder indirekte Beteiligung an der Sklavereiwirtschaft hindeutet. Dies alles ist seit langem in der historischen Literatur nachzulesen und neuerdings auch im Bericht "Die Stadt Zürich und die Sklaverei", welchen das Präsidialdepartement dem Zürcher Gemeinderat zugestellt hat.

Aufhorchen lässt nun die Tatsache, dass die Rechtsnachfolgerin der Bank Leu, die Credit Suisse Group, der Autorin und dem Autoren des Berichts mitgeteilt hat, dass sie zu den betreffenden sklavereirelevanten Aktenbeständen keine Zugang gewährt. Begründet wird dies nach über 200 Jahren mit dem "Bankkundengeheimnis". Zugleich erklärt sich dieselbe Bank, die offenbar über genug personelle und finanzielle Ressourcen verfügt, um ein vierbändiges Werk über Alfred Escher und ein 400-seitiges Porträt von Rainer E. Gut schreiben zu lassen, ausserstande, die fraglichen Alten selber aufzuarbeiten.

Dies ist ein helvetischer Skandal erster Güte. Der Fall der Credit Suisse, die Akteneinsicht verweigert, wenn es um sklavereirelevante Akten geht, wiegt darum ungleich schwerer als etwa jener der Neuenburger Familie Pourtalès, als es sich bei den Beständen der "Zinskommission Leu" um halbstaatliche Akten handelt. Es wird deshalb Sache der politischen Behörden der Stadt (und allenfalls des Kantons) Zürich sein, so rasch als möglich Verhandlungen mit der Credit Suisse Group aufzunehmen, um einer paritätisch zusammengesetzten Historikerkommission (1/2 Stadt oder Staat Zürich, 1/2 Credit Suisse) Einsicht in die fraglichen Aktenbestände zu verschaffen. Sollten diese Verhandlungen scheitern, muss die Stadt (und allenfalls der Kanton) Zürich das Einsichtsrecht in die ihm zur Hälfte zustehenden Akten auf juristischem Wege durchsetzen.

Es geht in dieser Frage um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage nach der Zürcher Beteiligung an einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und es geht auch darum, ob es sich der Staat bieten lassen kann, dass ein Akteur der schweizerischen Finanzoligarchie die Aufarbeitung dieses Teils unserer Geschichte verhindert, indem er Einsicht in Akten verweigert, die zur Hälfte dem Staat gehören. Um diese Frage zu beantworten, ist bereits ein Vorstoss im Zürcher Gemeinderat in Vorbereitung, der in den nächsten Wochen eingereicht wird.