Ortstermine in Sachen Sklaverei

Ein düsteres, gar nicht fernes Kapitel der Schweizer Geschichte

Die Schweiz hat eine düstere, wenig bekannte Beziehung zur Sklaverei, insbesondere zum transatlantischen Sklavenhandel: Als Kaufleute und Bankiers, als Kapitäne und Söldner, als Plantagenbesitzer und Berichterstatter nahmen Eidgenossen teil an der jahrhundertelangen, grossangelegten Ausbeutung eines Kontinents und seiner Menschen. Im Handel mit Produkten aus den Ländern und dem System der Sklaverei gehörten Schweizer Handelshäuser zu den führenden. Hans Fässler, Lehrer, Historiker und Kabarettist aus St. Gallen, ist dieser Beziehung nachgegangen. Das Böse habe eine Adresse und eine Telefonnummer, zitiert er Bert Brecht und hat in diesem Sinne sein Buch in 19 «Ortstermine» zwischen Boden- und Genfersee gegliedert. Er wertet historische Dokumente aus, stellt Beziehungen her und beleuchtet auch den Umgang, den spätere Generationen - seien es die involvierten Familien und Firmen oder die Historiker - mit diesem Kapitel Schweizer Geschichte pflegten. Die Texte sind enorm gut, spannend, mit spürbarer Leidenschaft geschrieben, auch mit Witz und Sarkasmus. Sie schweifen ab in Kultur und Landschaft, werfen Schlaglichter auf die Länder des Südens und wieder zurück nach Basel, Bern, Vevey und Rorschach. Wer als historisch wenig gebildeter Schweizer bisher die Beteiligung seiner Landsleute an der Sklaverei zwar durchaus vermutete, aber als weit zurückliegend und zeitbedingt vernachlässigte, der kann hier neben historischen Fakten auch das Gruseln lernen. Das alles ist uns nicht nur geografisch, sondern auch zeitlich noch empfindlich nahe. In seinem «Ausblick» am Schluss des Buches erinnert Fässler übrigens an einen «bahnbrechenden» Artikel in der Schweizerischen Lehrerzeitung von 1997, verfasst vom damaligen Chefredaktor Daniel V. Moser*. Dieser habe neben anderen Veröffentlichungen in den neunziger Jahren entscheidend dazu beigetragen, «die historische und öffentliche Diskussion über dieses Thema auf ein neues Niveau anzuheben». Welchen Umfang und welche Bedeutung hatte die Beteiligung der Schweiz an diesem System? Eine Bilanz über den Schweizer Plantagen- und Sklavenbesitz stehe noch aus, betont Fässler. In Anlehnung an den Historiker Herbert Lüthy findet er jedoch eine Einordnung: Im Verhältnis zu den grossen Kolonialmächten sei der schweizerische Anteil wohl klein, fast vernachlässigbar gewesen, für ein kleines, alpines europäisches Binnenland hingegen sei er beträchtlich, für einzelne Städte oder bei gewissen Finanzgeschäften gar ziemlich gross gewesen. Fässler erwägt auch die Möglichkeiten und die Berechtigung allfälliger Forderungen nach Wiedergutmachung und kommt zum Schluss: «Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Täter oder im Falle der Sklaverei deren Nachkommen gegenüber denjenigen, die im Falle der Sklaverei gleichzeitig Nachkommen der Opfer und immer noch Opfer sind, ihre Schuld oder Mitverantwortung anerkennen und bedauern müssen.»

Heinz Weber

Hans Fässler: «Reise in Schwarz-Weiss - Schweizer Ortstermine
in Sachen Sklaverei», 2005, Zürich, Rotpunktverlag, 340 Seiten,
broschiert, Fr. 36.-, ISBN 3-85869-303-0

(* «Schweizer Banken und der &Mac220;Black Holocaust&Mac221;», SLZ 11/97)