Die Teilzeit-Kolonialmacht

Hans Fässlers «Reise in Schwarz-Weiss» dokumentiert die Schweizer Beteiligung an der Sklaverei

Sie kauften Plantagen, trieben Handel, finanzierten Sklavenschiffe. Auch Schweizer wirkten am transatlantischen Unterdrückungssystem mit. Hans Fässler belegt dies im Buch «Reise in Schwarz-Weiss» - schwarz auf weiss.

ROLF APP

Im Sommer 2003 trifft Hans Fässler in Zürich den haitianischen Honorarkonsul Brave Hyppolite, Gründer des Hilfswerks «Kinder in Not», und erzählt ihm von seinen Forschungen. Er sei überzeugt, sagt Fässler, dass es nach der Zusammenarbeit mit Hitlerdeutschland und der Komplizenschaft mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime nun bezüglich Sklaverei ein drittes düsteres Kapitel der Schweizer Geschichte aufzuarbeiten gelte.

Hyppolite antwortet mit einem feinen Lächeln: «Aber Monsieur, das wäre dann nicht das dritte Kapitel, sondern das erste!»
Der Herr Bevollmächtigte

Zu diesem ersten Kapitel trägt der «Schweizer Provinzkabarettist und Teilzeithistoriker», wie er sich selbst immer wieder beschreibt, viel bei. Die «grosszügige Auslegung der Zweckbestimmung für die teilbesoldete Intensivweiterbildung (<Bildungsurlaub>) durch die Schulleitung der Kantonsschule Trogen» hat sein Projekt möglich gemacht, «Reise in Schwarz-Weiss» ist sorgfältig dokumentiert und hervorragend geschrieben.

Manchmal bricht der Kabarettist durch. Dann zum Beispiel, als ihm der Neuenburger Bevollmächtigte der einstmals mächtigen Familie Pourtalès den Zugang zu den im Kantonsarchiv lagernden Akten verwehrt. Nicht einmal den Namen des «Herrn Bevollmächtigten» darf der Kantonsarchivar nennen, und so breitet Hans Fässler denn in einer Art offenem Brief aus, was er über die Pourtalès schon weiss - und über andere Neuenburger Familien, die sich ihrer Vergangenheit nicht in diesem Mass verschliessen.

Orte des Unrechts

Neuenburg ist eine wichtige, aber beileibe nicht die einzige Station von Fässlers Reise durch die Schweiz, die in Rorschach beginnt und über Trogen, St. Gallen, Bürglen, Chur und Basel schliesslich nach Genf und in die Waadt führt. Die Zürcher müssen sich für einmal nicht aufregen, es war im 18. Jahrhundert ein «verschlafenes 8000-Seelen-Dorf» und in Sachen internationaler Finanzbeziehungen ein Spätstarter. Andere waren sehr viel früher dran, zum Beispiel die Ausserrhoder Textildynastie der Zellweger, von deren Macht noch heute die Paläste am Landsgemeindeplatz zeugen.

Zum Beispiel die Zellweger

Die Zellweger importierten von Sklaven produzierten Kaffee aus der spanischen Kolonie Puerto Rico, Zucker, Kakao und Textilfarbstoffe von den französischen Antillen - die die Sklaverei erst 1848 abschafften - und aus Zentralamerika. Und Baumwolle aus Spanisch-Südamerika. Es ist ein Ozean-übergreifendes, komplexes Wirtschaftssystem, das Fässler mit Schweizer Namen und Adressen versieht, und das vom 16. bis ins 19.Jahrhundert die Entwicklung Europas prägt. Schweizer Geschäftsleute, Bankiers, Plantagenbesitzer und Auswanderer haben Wohlstand, ja Reichtum auf der Verschleppung und der Ausbeutung von Sklaven begründet. Oder sie haben, wie der Geologe Louis Agassiz, der Reiseschriftsteller Johann Jakob Tschudi oder der Staatsrechtler Carl Ludwig von Haller, zur Rechtfertigung der Herrschaft Weisser über Schwarze beigetragen.

Der Schweizer Anteil

Nicht nur einige Nachfahren solcherart reich gewordener Familien hören das nicht gern. Auch der St. Galler Grosse Rat hat sich nur knapp für einen bescheidenen Beitrag an das Projekt gewinnen lassen. Fässler kommentiert die etwas kuriose Debatte im Schlusskapitel, wo er auch Bilanz zieht. «Im Verhältnis zu den grossen europäischen Vollzeit-Kolonialmächten ist der schweizerische Anteil klein, fast vernachlässigbar», schreibt er, «für ein kleines, alpines europäisches Binnenland ist er beträchtlich, für einzelne Städte oder bei einzelnen Finanzgeschäften gar ziemlich gross. Man könnte von einer Teilzeit-Kolonialmacht sprechen.»

Muss sich diese ehemalige «Teilzeit-Kolonialmacht» fragen, was sie nun tun soll? Oder soll sie darauf verweisen, dass es hier um eine längst vergangene Vergangenheit gehe, um etwas, das zu seiner Zeit als ein «honoriges Geschäft» gegolten habe? Fässler verweist auf Papst Urban VIII., der schon 1639 den Sklavenhandel verurteilt habe, auf Voltaires «Candide», und auf den Wiener Kongress von 1815, der den Sklavenhandel für völkerrechtswidrig erklärt hat. Die Sklaverei-kritische Debatte hat früh begonnen, ohne Schweizer Stimmen.