Schweizer Beteiligung an der Sklaverei, Teil II
(aus: http://www.afrikanet.info/index.php?option=com_content&task=view&id=276&Itemid=2)


Written by Simon INOU   
Sunday, 11 December 2005


Ein Buch von Hans Fässler "Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei", erschienen im Rotpunktverlag, durchleuchtet detailliert die Rolle von schweizer Familien und Orten in der Zeit der Sklaverei. Laut Hans Fässler hat die Sklaverei in der Schweiz Adressen und Postleitzahlen. Neunzehn Ortstermine zwischen Boden- und Genfersee werden genauer untersucht und liefern interessante Ergebnisse. Sehr mutig vermeidet er, wenn es um Beteiligungen geht, aus dreierlei Gründen die Teilung in direkte und indirekte Beteiligung. Für ihn waren alle, die etwas zur Sklaverei beigetragen haben beteiligt. Was die Diskussion über Entschädigungen erleichtern kann. Wir haben den Autor interviewt. 


Afrikanet.info:
Aus welchen Gründen haben Sie sich dieses Thema gewidmet? 

Hans Fässler: 
Ich habe mich schon immer für Menschrechtsfragen interessiert. ich war Mitbegründer des Vereins Gerechtigkeit für Paul Grüninger, welcher die Rehabilitierung des St.Galler Polizeihauptmanns durchgesetzt hat, welcher jüdischen Flüchtlingen trotz Grenzsperre die Einreise in die Schweiz ermöglichte. Bei meinen Recherchen zu einem Kabarettprogramm über den haitianischen Sklavenbefreier Toussaint Louverture stiess ich auf historisches Material, das auf eine Mitbeteiligung der Schweiz an Sklavenhandel und militärischer Absicherung der Sklaverei hindeutete. Von da an liess kich das Thema nicht mehr los.

Afrikanet.info: 
Wie gestaltete sich den Zugang zu den Quellen? 

Viele Hinweise finden sich in verstreuten Publikationen, welche ihren Fokus nicht auf der Sklaverei, sondern auf Wirtschaftsgeschichte, Personengeschichte, Auswanderungsgeschichte oder Militärgeschichte gelegt hatten. Die meisten Akten in den Archiven waren ohne weiteres einsehbar, Schwierigkeiten gab es jedoch bei den Akten der Neuenburger Familie Pourtalès (Plantagen- und Sklavenbesitz, Handel mit Sklavereiprodukten), welche mir den Zugang verweigerte.

Afrikanet.info:
Wie reagierten die Betroffenen Familien? Kannten Sie sich? 

Es gab durchaus positive Reaktionen von Nachkommen, welche sich für diese Aspekte ihrer Familiengeschichte interessierten. Daneben gab es auch Nachkommen, die nichts davon wissen wollten und entgegen den Belegen in den Akten beahupteten, ihre Familien hätten mit all dem nichts zu tun gehabt. Die meisten Familien kenne ich jedoch nicht und habe bisher auch keine Reaktionen erfahren.

Afrikanet.info:
Wie wurde Ihr Buch in der Schweiz aufgenommen? 

Bis jetzt fast ausschliesslich positiv. Nach der Diskussion um die nachrichtenlosen jüdischen Vermögen auf Schweizer Konten und nach der Neubewertung der Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg durch den Bergierbericht scheint die Bereitschaft gestiegen, sich auch unangenehmen Aspekten der Vergangenheit zu stellen. Bürgerliche Kreise v or allem meines Heimatkantons St.Gallen (FDP, SVP) haben hingegen mit unsäglichen Argumenten und Verdrehungen versucht, meine Arbeit zu behindern oder zu verunglimpfen. Zu den Reaktionen siehe www.louverture.ch.

Afrikanet.info: Zum gleichen Thema erschien in der Schweiz das Buch "Schwarze Geschäfte" von Thomas David, Bouda Etemad, Janick Marina Schaufelbuehl. Warum interessieren sich plötzlich so viele für dieses Thema? 

Ich denke, dass der Wegfall der Denkblockaden des Kalten Krieges, der Druck der afrikanischen, amerikanischen und karibischen Nichtregierungsorganisationen im Umfeld der Konferenz von Durban und die Weiterentwicklung des internationalen Rechts bezüglich Verbrechen gegen die Menschlichkeit (von Nürnberg über Jugoslawien bis Ruanda) und bezüglich Wiedergutmachung und Entschädigung (Schweizer Bankenvergleich, Apartheidklagen) schliesslich um das Jahr 2000 dazu geführt haben, dass bei verschiedenen Schweizer Historikerinnen und Historikern die verstreuten Akten, Arbeiten und Hinweise auf eine "Swiss Slavery Connection" schliesslich gewissermassen die kritische Masse erreichten.

Afrikanet.info: 
In der Einleitung (auf der Seite 7) des oben genannten Buches "Schwarze Geschäfte" schreiben die Autoren: " die Schweiz hat nie eine Sklavenhandelsflotte oder Kolonien mit Zuckerplantagen in der Karibik oder auf dem amerikanischen Kontinent besessen." In ihrem Buch Seite 21 (Einleitung) schreiben Sie "Unter den Sklavenschiffen mit "Schweizer" Beteiligung" finden sich übrigens symbolischerweise ein 150- Tonnen-Schiff namens >>la Ville de Bâle<<, ein 500-Tonnen-Schiff namens >>Les treize Cantons<< und eine Fregatte namens >>l´Helvetie<< . Wie können Leser diese unterschiedliche Forschungsergebnisse annehmen?

Es stimmt, dass die Schweiz als Nation (soweit es sie damals schon gab), keine eigene Handelsflotte hatte. Aber Schweizer Unternehmer, Kaufleute, Bankiers etc. beteiligten sich an Sklavereiexpeditionen. Insofern besteht kein Widerspruch.

Afrikanet.info:
Auf der Seite 21 Ihres Buches wollen Sie zwischen direkte und Indirekte Beteiligung nicht unterscheiden. Warum? 

Ich möchten den Sklavenhandel und die Sklaverei als Teil eines Wirtschaftssystems ansehen, welches nur mit der Ausbeutung von Millionen Menschen möglich war. Deshalb mache ich keinen Unterschied zwischen dem Peitschen schwingenden Plantagenverwalter und dem Baumwollhändler. Sie profitierten letztlich beide vom gleichen Unrecht.

Afrikanet.info: 
Ist es heute möglich eine finanzielle Evaluierung der Sklavenarbeit der für die Schweiz arbeitenden Sklaven zu erstellen? 

Drei französischsprachige Schweizer Autoren kommen unter Einbezug der Schweizer Investitionen in die wichtigsten Kolonialgesellschaften auf eine Zahl von über 172 000 mit Schweizer Beteiligung deportierte Sklavinnen und Sklaven, das heisst 1,5 Prozent der transatlantischen Gesamtzahl. Ich habe in meinem Buch versucht, eine Bilanz über den Schweizer Plantagen- und Sklavenbesitz zu ziehen. Geht man von einer durchschnittlichen Lebensdauer der auf Plantagen Arbeitenden von 10 Jahren, einer Plantagengrösse von 100 versklavten Arbeitskräften und von einer Haltedauer von 30 Jahren aus, so kommt man für grob geschätzte 50 Schweizer Plantagen in Südamerika, der Karibik, in Nordamerika und Südafrika auf gegen eine halbe Million versklavte Frau- und Mannjahre. Dazu wären noch die Sklavinnen und Sklaven zu addieren, welche in Schweizer Haushalten und Fabriken arbeiteten. Ich vermute, dass dies gemessen am Gesamtvolumen der in der Sklavereiwirtschaft der Neuen Welt geleisteten menschlichen Arbeitsjahre wiederum einen Prozentsatz im unteren einstelligen Bereich ergäbe, was vermutlich auch für die Beteiligung an militärischen Operationen gilt.

Afrikanet.info: 
Da die Schweiz, ein Binnenland an der Sklaverei teilgenommen hat, glauben Sie, dass noch mehr Länder ausser die klassischen wie z.B. Frankreich, Portugal, Spanien, Niederlande sich an der Sklaverei beteiligt haben? 

Bekannt sind ausserdem Holland, Schweden, Dänemark und Brandenburg. Das Wirtschaftssystem, das auf Sklaverei beruhte, definiert sich gemäss dem nigerianischen Historiker Inikori wie folgt: "Die Begriffe >atlantische Welt< und >Atlantikbecken< werden in dieser Studie austauschbar verwendet und definieren ein geografisches Gebiet einschliesslich Westeuropas (Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, die Schweiz, Österreich, Deutschland, die Niederlande, Belgien, Grossbritannien, Irland), Westafrikas (von Mauretanien im Nordwesten bis Namibia im Südosten, inklusive die beiden modernen Regionen Westafrika und Zentral/West-Afrika) und des amerikanischen Kontinents (inklusive alle modernen Länder Lateinamerikas und der Karibik, die USA und Kanada)."

Afrikanet.info: Sind Sie im Laufe ihrer Arbeit auf Dokumente gestoßen, die über die Beteiligung Österreichs oder  andere "unbekannte" Länder  aussagekräftig sind?  

Ausser der Erwähnung Österreich im obigen Zitat ist mir dieses Land im Sklavereizusammenhang bisher nicht begegnet.

Afrikanet.info: 
Mit ihren Buch schreiben Sie eine neue Geschichte der Schweiz. Was empfehlen Sie andere Länder die bis heute ihre Rolle während der Sklaverei verneinen oder ignorieren?

Es führt kein Weg an der Aufarbeitung der eigenen Geschichte vorbei. Dies kann auch ein befreiender Prozess sein. Wer unangenehme Kapitel verdrängt, wird immer wieder mit ihnen konfrontiert werden. Die Aufarbeitung muss unbedingt in enger Zusammenarbeit mit den Nachkommen der Opfer (welche zum Teil heute noch selbst Opfer sind) geschehen. Die unerlässlichen Schritte sind: Aufarbeitung, Anerkennung der Vergangenheit, Geste der Entschuldigung gegenüber den Nachkommen der Opfer, Wiedergutmachung.

Bilder: http://www.louverture.ch