Kulturgüter, Sklaven, Wendehälse

Die Forderung St.Gallens an Zürich, die im zweiten Villmergerkrieg gestohlenen Handschriften und den Globus zurückzugeben, eint die politischen Kräfte St.Gallens von links bis rechts, schweisst Regierung und Parlament zusammen und lässt protestantische Historiker an selben Strick ziehen wie die Katholische Administration. Zusammen mit den aufgewendeten Arbeitsstunden war dem seltsam geeinten Kanton der zehnjährige Kampf für Gerechtigkeit eine halbe Million Franken wert. Leserbriefschreiber vergiessen angesichts des ausgehandelten Kompromisses noch heute Herzblut und fordern: die totale Wiedergutmachung.

Was wird sein, wenn einmal seitens der Nachkommen der Opfer von Sklaverei, Rassismus und Kolonialismus die Forderung nach Wiedergutmachung auch an die Schweiz gestellt wird, welche ja – wie man heute weiss – ebenfalls von diesen Menschheitsverbrechen profitiert hat? Wenn afrikanische, karibische und amerikanische Zivilgesellschaften argumentieren, ihnen seien nicht Kulturgüter geraubt worden, sondern Menschen, Lebenschancen und Milliarden von Arbeitsstunden? Wenn schwarze Historiker darauf bestehen, das sei alles nach 1712 passiert, also jüngeres Unrecht als das st.gallische? Wenn Leserbriefschreiber aus der Dritten Welt sich ebenfalls auf die "Identitätsrelevanz" berufen?

Wird es dann heissen, man könne doch nicht alles wiedergutmachen, was an Unrecht auf der Welt passiert sei? Man müsse jetzt doch vorwärts schauen und nicht immer in alten Geschichten wühlen? Das liege doch schon so lange zurück und Wiedergutmachung wäre aus juristischen und administrativen Gründen ungeheuer kompliziert? Wird dann wieder der alte Rassismus und die postkoloniale Machtpolitik hervortreten? Werden sich Hunderte von prominenten und weniger prominenten Hälsen wieder wenden?