Clariden Leu liefert sich einen Streit mit Historikern

Von Bruno Schletti

Waren Zürcher Geldgeber im 18. Jahrhundert in den Sklavenhandel verwickelt? Historiker wollen Antworten. Die Privatbank der CS-Gruppe verweigert den Zugang zum Archiv. Noch sind die Fronten verhärtet.



Beim Streit geht es um die Frage, ob Ende 18. Jahrhundert Geld aus Zürich in den
Menschenhandel floss. Gemälde von George Morland um 1790.


Die Geschichte hat das Zeug zur Verschwörungstheorie: Eine Bank, die Geschichtsforscher am Einblick in historische Dokumente hindert, hat etwas zu verbergen. Weshalb sonst lässt sie die Historiker nicht ins Archiv? Das Thema – Sklaverei – ist brisant. Die Vorstellung, dass sich prominente Zürcher im 18. Jahrhundert im Menschenhandel die Finger beschmutzten, ist explosiv.

Der Streit zwischen den Historikern und Clariden Leu – heute eine Tochterfirma der Credit Suisse – schwelt seit Jahren. Der Umgangston wird aggressiver, und doch scheint Bewegung ins Geschehen zu kommen. Im Zentrum des Konflikts steht der Name Leu – heute noch ein Überbleibsel im Namen der Privatbank Clariden Leu. Am Anfang der Geschichte steht Johann Jakob Leu. 1689 wurde er geboren, 1768 starb er als Bürgermeister von Zürich.


Nahgelegenes Ausland

1754, genauer am 11. Februar, war Leu Säckelmeister der Stadt. An diesem Tag hiess der Grosse Rat das von Leu vertretene Projekt gut, die Zinskommission zu begründen. Diese Institution sollte Kundengelder entgegennehmen und als verzinste Darlehen ins Ausland vergeben. «Wobei mit «Ausland» im damaligen Verständnis bereits auch der nichtzürcherische Teil der Eidgenossenschaft gemeint war», schreibt Joseph Jung, Historiker der Credit-Suisse-Gruppe, im Jubiläumsbuch «250 Jahre Bank Leu». Die Frage, wohin die Zürcher Gelder flossen, hat Jung in seinem Bericht weitgehend ausgeklammert.

Unter dem Präsidium des Säckelmeisters nahm die Zinskommission Leu et Compagnie im April 1755 ihre Geschäftstätigkeit auf und zwar im Zürcher Rathaus. Entsprechend der Örtlichkeit gab sie Rathausobligationen aus, die sich schon bald grosser Nachfrage erfreuten.

Nach der Plünderung der Staatskasse durch die Franzosen erklärte die Zinskommission 1798 die Vermögenswerte der Bank als Privateigentum. Ein halbes Jahrhundert später mutierte das Institut zur «Aktiengesellschaft Leu & Comp.». Später wurde daraus die Bank Leu, die 1990 von der CS Holding geschluckt und 2007 mit anderen Privatbanken zur Clariden Leu fusioniert wurde.


Einblick ins Archiv verweigert

Der Ursprung des hier beschriebenen Konflikts liegt in der Kreditvergabe der Zinskommission im 18. Jahrhundert. Bekannt ist etwa, dass das Zürcher Institut Aktien der französischen Compagnie des Indes hielt. Diese soll in über 100 Expeditionen mehr als 45 000 Menschen aus Afrika in die Sklaverei deportiert haben. Ebenso weiss man, dass sich die Bank an einer dänischen Anleihe beteiligte, mit der die Antilleninseln St. John, St. Croix und St. Thomas erworben wurden – ein Umschlagplatz für Sklavinnen und Sklaven.

Um die Rolle der Zinskommission Leu und deren Geldgeber genauer zu erforschen, verlangen Historiker seit Jahren Einblick in die damaligen Dokumente. Rechtsnachfolgerin und damit Eigentümerin derselben ist Clariden Leu. Verwaltet wird das Archiv von der Muttergesellschaft Credit Suisse.


Bankgeheimnis für Tote

Die CS hat den Zugang zum Archiv noch vor drei Jahren mit dem Hinweis auf das Bankkundengeheimnis verweigert. Damit hat sie zwei alternative Gemeinderäte aus dem Busch geklopft, die im Oktober 2007 ein immer noch hängiges Postulat zum Thema einreichten.

In der Begründung schreiben sie: «Die Rede ist von Kunden, welche sich längst in Staub und Asche aufgelöst haben! Diese haben nichts mehr zu verheimlichen und bedürfen auch keines Schutzes mehr.» Auch die Idee, potenzielle Nachfahren zu schützen, bezeichnen die Politiker als «absurd». Selbst die «Neue Zürcher Zeitung» bezeichnete den CS-Hinweis auf das Bankgeheimnis als eine «etwas eigenartige Begründung».

Tatsächlich kann man sich fragen, ob eine Gesetzesbestimmung von 1934 zum Schutz von Personen des 18. Jahrhunderts herbeigezogen werden kann. Faktisch ist das möglich, sagt Beat von Rechenberg, Rechtsanwalt der Kanzlei CMS von Erlach Henrici. Voraussetzung sei allerdings, dass die Nachfolgebanken der Zinskommission Leu alle Rechte und Pflichten übernommen hätten. Sei dies der Fall, komme dem Bankgeheimnis Rechtsrelevanz zu. «Das ist schlecht für die Historiker, aber gut für die Rechtssicherheit», folgert von Rechenberg.

Ähnlich argumentiert der Jurist in der Frage des halbstaatlichen Charakters der Zinskommission unter dem Präsidium des Säckelmeisters: «Wenn die Zinskommission Leu vollständig und ganz übernommen worden ist, dann ist sie privatisiert worden.» Die Postulanten argumentieren mit Verweis auf die Halbstaatlichkeit politisch: «Es geht nicht an, dass eine private Bank einen Teil Stadtgeschichte unter Verschluss hält.»


Historiker holt Hilfe in Chicago

Die Zürcher Stadtregierung wurde vom Gemeindeparlament dazu verknurrt, die Credit Suisse zum Öffnen des Archivs zu bewegen. Bis heute ohne Erfolg. Die Fronten scheinen verhärtet, nicht zuletzt, weil der St. Galler Historiker und Sklavereiexperte Hans Fässler Druck gegen die Grossbank aufbaut. So schrieb er Ende Januar Richard M. Daley an, den Bürgermeister von Chicago. Die US-Stadt kennt seit 2002 ein Gesetz, das sie verpflichtet, nur mit Unternehmen zu geschäften, die ihre allfällige Vergangenheit im Kontext der Sklaverei aufgearbeitet haben. Dass Fässler in diesem Brief von einer Sklavenvergangenheit der Credit Suisse schreibt, hat innerhalb der Bank grosse Verärgerung ausgelöst.

Auch nach jahrelangem Streit will die CS die Archivtür für Aussenstehende nicht öffnen. Ihre Begründung: «Einsicht in private Archive, welche auch sensible Personendaten enthalten, werfen schwierige rechtliche Fragen auf. Unabhängig davon, ob in solchen Fällen das Bankkunden- oder zum Beispiel auch das Geschäftsgeheimnis Anwendung findet oder nicht, geht es auch um mögliche überwiegende Interessen von Betroffenen, zum Beispiel betreffend deren Persönlichkeitsrechten sowie Ansprüchen aus Datenschutz.»


CS sucht Lösung mit der Stadt

Die Formulierung verrät, dass Juristen am Werk sind. Doch auch diese scheinen sich ihrer Sache nicht hundertprozentig sicher. Nach mehreren Kontakten mit dem «Tages-Anzeiger» signalisierte die Bank plötzlich Gesprächsbereitschaft: «Die Zinskommission Leu hatte als quasi-staatliches Institut eine besondere Stellung in der damaligen Zeit. Deshalb wollen wir zusammen mit der öffentlichen Hand eine Lösung finden, ob und wie die Dokumente der Zinskommission unter Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben zugänglich gemacht werden können.» Es scheint also Bewegung in die Angelegenheit zu kommen. Möglich, dass das mit dem Wechsel im Stadtpräsidium zu tun hat. Während Elmar Ledergerber die Sache zu den Akten legen wollte, bestätigt das Präsidialdepartement nun Kontakte mit Clariden Leu.