Vernissagerede 7. Juni 2014
Louis Agassiz Gletscherforscher, Rassist (1807 -2014) Ausstellung Grimsel Hospiz

von Michael Zurwerra, alt Rektor Kollegium Sanctus Spiritus in Brig, aktuell Rektor der Kantonsschule Trogen (AR)

„Das UNESCO-Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch umfasst mit einer Fläche von 824 Quadratkilometern nahezu die gesamten Berner Hochalpen mit ihren monumentalen Felsmassiven auf dem Gebiet der Kantone Bern und Wallis. (...) Das Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch steht für die wunderbaren Naturschönheiten der Alpen. Das Zentrum bildet das gewaltige Felsmassiv von Eiger, Mönch und Jungfrau mit der Gletscherlandschaft rund um den Grossen Aletschgletscher. An den Südhängen des Bietschhorns geht die hochalpine Szenerie über die verschiedenen Vegetationsstufen sanft in eine Felsensteppe mit mediterranem Charakter über. Diese Vielfalt unterschiedlichster Landschaften und Ökosysteme verschmilzt zu einem Gesamtbild von aussergewöhnlicher Schönheit."

So steht es geschrieben auf der Homepage „Jungfrau Aletsch Weltnaturebe“. Und so schön und einmalig ist diese Landschaft wirklich.

Geschätzte Damen und Herren, Sie scheinen Mut zu haben, dass Sie heute zu dieser Vernissage gekommen sind und diese Ausstellung über den Gletscherforscher, Rassist Louis Agassiz anschauen wollen. Sind Sie sich wirklich sicher, dass Sie diese Ausstellung sehen wollen? – Wenn Sie sich aber lieber das eben zitierte Bild dieser einzigartigen Landschaft nicht beeinträchtigen lassen wollen, dann schlage ich Ihnen vor, nach meiner Rede lieber nach Hause zu gehen.

Und die anwesenden Vertreter der Presse, möchte ich schon eingangs bitten, sich gut zu überlegen, ob Sie über diese Ausstellung wirklich berichten wollen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich will sicher nicht die Pressefreiheit beschneiden, dafür halte ich dieses Prinzip als zu wichtig und als hohe Errungenschaft unserer Gesellschaft, aber ich möchte doch davor warnen, dass Presseberichte über diese Ausstellung die Bevölkerung über eine Sache aufklären könnten, die Bergbewohner nicht gleichgültig lässt. Sie könnte betroffen machen, eine öffentliche Diskussion auslösen und schliesslich sogar Politiker dazu zwingen, sich mit einer Rassismusakte im Weltkulturerbe der Alpen auseinandersetzen zu müssen.

Und Politiker im Alpenraum haben in dieser Zeit ja weiss Gott andere Sorgen, denken wir nur an die grossen Probleme der Umsetzung der verschiedenen Sparpakete, der Masseneinwanderungs- und Zweitwohnungsinitiative, die Diskussion um die Wolfproblematik und dergleichen wichtiges mehr.

Und, geschätzte Pressevertreter und Lesebriefschreiber, wollen Sie wirklich, dass die derzeit stark gebeutelte Tourismusbranche sich nun auch noch mit Rassismus Vorwürfen im Weltkulturerbe Jungfrau-Aletsch befassen muss?

In dem Zusammenhang, lieber Hans Fässler zusammen mit allen Mitorganisatorinnen und Mitorganisatoren dieser Ausstellung, möchte ich auch Sie bitten, noch einmal zu überlegen, ob Sie die Ausstellung wirklich eröffnen wollen. Sie machen uns betroffen, Sie zerstören uns unser heiles Bild unserer Alpenregion und was das schlimmste ist, Sie machen uns allen, vor allem den Politikern, ein schlechtes Gewissen. Die Wahrheit zu erfahren, ist nicht immer einfach zu ertragen.

Sie haben ja noch einen Moment Zeit, sich das Ganze zu überlegen.

Vor fast genau einem Jahr waren meine Frau Brigitte und ich als interessierte Besucher, wie es Sie auch heute hier, bei der dritten Station der Ausstellung, unter uns gibt, bei der Vernissage eben dieser Ausstellung auf dem Eggishorn. Und ich muss Ihnen in aller Ehrlichkeit sagen, dass diese Ausstellung uns wirklich berührt hat. Wir haben es nicht für möglich gehalten, dass ein Berg in unserer geliebten Region, inmitten des Weltkulturerbes, den Namen eines Rassentheoretikers trägt. Und wir waren noch mehr darüber erstaunt, dass man nicht, mit dem heutigen Wissen darüber, von Seiten der Gemeinden Fieschertal, Guttannen und Grindelwald und von Seiten der Kantone Bern und Wallis sofort alles unternimmt, diesen ethischen Schandflecken aus unserer einmaligen Alpenwelt zu entfernen.

Für mich als Philosophielehrer und Mensch, der die Berge über alles liebt und sich ein Leben ohne diese, unsere geliebte Bergwelt nicht vorstellen kann, passt der Name "Agssizhorn" für diesen wundervollen Berg, den wir heute auch von unserem Standort aus sehen können, nicht mehr in die Jungfrau-Aletsch-Arena.

Es scheint mir überhaupt anmassend, dass man einem Berg, einen Namen eines Menschen gibt. Es widerspeigelt das ego- und ethnozentrierte Menschenbild des 19. bzw. das Menschenbild der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das glauben machen wollte, dass der Mensch oder noch schlimmer, die eigene Ethnie alles beherrschen kann und darf.

Aber spätestens die Umweltkatastrophen der letzten Jahre weltweit und im besonderen in den Alpen, bewirkt durch Umweltverschmutzung und Klimaveränderung haben uns wieder deutlich vor Augen geführt, dass sich der Mensch der Natur und nicht die Natur dem Menschen anpassen muss. Der Mensch hat gegenüber der Natur, der ganzen Schöpfung, eine ethische Verpflichtung. Da lobe ich mir die alten Leute aus meiner Region am Simplon, in Zermatt oder in Yamanashi und Shizuoka, die voller Ehrfucht vor der Schönheit und Grösse, und der ihnen bewussten Macht der Natur, den Bergen keinen Namen geben.

Wenn mein Vater einen Ausflug auf den Simplon machen möchte, dann fragt er mich ganz einfach: "Fahre wer hitu uf du Bärg?", und die Zermatter Bergführer sagen etwa: "Hesch gseh, s`Horu het än Fannu, s`Wätter blibt guet." Und die Einheimischen aus den japanischen Provinzen Ymanashi und Schizouka, ein Gebiet, das übrigens seit 2013 auch Weltkulturebe ist, sprechen vom Fuij, wenn sie den Fuijdschiama meinen, was nichts anderes als "Berg" heisst. Diese Beispiele liessen sich noch für unzählige verschiedene Berge in den Alpentälern verlängern.

Geschätzte Damen und Herren. Diese Ausstellung will aufklären, sie macht uns darauf aufmerksam, dass Rassismus nicht etwas ist, dass der Vergangenheit angehört und dass es nicht etwas ist, dass irgendwo weit weg von uns stattfindet. Diese Ausstellung ist auch eine Ausstellung gegen das Vergessen und ein Aufruf dazu, sich bewusst zu sein, dass Rassismus und Verletzungen der Menschenwürde immer und überall vorkommt und man alles dafür tun sollte, schon die schleichenden Anfänge solcher Gedanken und Tendenzen zu unterbinden und erst recht mutig sein soll, auf Reden und Handlungen, die menschenverachtend sind, hinzuweisen und dagegen anzutreten.

Louis Agassiz war nicht nur Rassist, er war unbestritten auch ein grosser Wissenschafter und bekannter Gletscherforscher. Und trotzdem wiegt seine dunkle Seite so viel mehr, weil nichts über die Menschlichkeit geht. Daher ist es für uns ein Armutszeugnis, dass der schöne Berg in der einmaligen Jungfrauregion „Agassizhorn“ heisst.

Ich bin persönlich der festen Überzeugung, dass sich in der Wirtschaft, in der Politik, in der Wissenschaft und Bildung alles dem höchsten Prinzip, der Beachtung der Menschlichkeit, zu unterstellen hat. Die Beachtung der Menschlichkeit beinhaltet vor allem, dass jeder Mensch unabhängig seiner Herkunft, seines Geschlechts, seiner Sprache und Kultur oder seiner Religion dieselbe Wertschätzung erfährt und der Gleichbehandlung sicher sein darf.

Das heisst aber auch, dass letztlich die Handlungen eines jeden Menschen an diesem Prinzip gemessen werden.

Das Ausstellungsteam mit Herrn Hans Barth, Fribourg, Herrn Hans Fässler, St.Gallen, Frau Sasha Huber, Helsinki, Herr Kanyana Mutombo, Genf und Herrn Markus Traber, St. Gallen, will mit der Ausstellung neben der Aufklärung daher auch dahingehend wirken, dass der Berg, seiner Reinheit und Schönheit entsprechend umbenannt wird. Sie schlagen vor, dass der Berg nach dem Opfer, das Agassiz als Beispiel für seine rassentheoretischen Ansichten abbilden liess, nach dem aus dem Kongo stammenden Sklaven Renty benannt wird. Als Kompromiss könnten sie sich auch vorstellen, dass das noch namenlose Nebenhorn als Rentyhorn bezeichnet würde, so stünde der Berg als "denk mal" – auseinander und klein geschrieben, meine ich – als "denk mal" gegen den Rassismus im Weltkulturerbe. Verschiedene Versuche, dem Berg einen anderen Namen zu geben sind bislang gescheitert. Es braucht Zeit und es braucht Mut. Als ehemaliger Regionalpolitiker und Gemeindepräsident, weiss ich nur zu gut, dass man sich gerade in solchen Themen in Geduld üben muss. Ich weiss aber auch, dass man hartnäckig bleiben und das Thema immer wieder in die Diskussion bringen muss.

Ich wünsche mir, dass Hans Fässler und seine Mitstreiter diese Hartnäckigkeit und Ausdauer haben und solange nachhacken, bis die Zeit reif und das Ziel erreicht ist. Und zusammen mit den Initianten hoffe ich darauf, dass mit dem Wissen, das insbesondere diese Ausstellung aufgearbeitet hat und mit dem Mut einer Mehrheit der kommunalen und kantonalen Politiker unserer beiden Kantone Bern und Wallis, die das Prinzip der Menschlichkeit über alles stellen, die Unschuld des 3946 Meter hohen Berges wieder hergestellt wird.

Dieser Akt der Umbenennung des Agassizhorns als Zeichen der Verurteilung von Rassismus wäre übrigens auch eine besondere Werbung für die Tourismusregion Jungfrau Aletsch.

Solange der Berg aber noch Agassizhorn heisst und Renty in diesem Bergkranz unbenannt bleibt, ist der Berg auch ein "denk mal" – nach meiner Schreibweise – das uns zeigt, dass die Bereitschaft dem Rassismus keine Chance zu geben, noch nicht in unserer Gesellschaft und in der Verantwortung der Mehrheit der Politiker angekommen ist.

Sie sehen, geschätzte Damen und Herren, die hervorragend gemachte Ausstellung verfolgt auch ein konkretes messbares Ziel.

Ich freue mich auf den Tag, an dem ich hier stehen darf und auf den 3946 Meter hohen Berg mit dem neuen Namen schauen darf. Es wäre der Tag, an dem ich als echter Walliser Bergler wieder frei in die Reinheit meiner geliebten Bergregion blicken dürfte. Ich hoffe, diesen Tag zu erleben.

Nun, Hans, wollt Ihr die Ausstellung immer noch öffentlich machen, auch auf die genannte Gefahr hin, dass es diesen Menschen so geht wir mir und dass sie eventuell viel Diskussion auslöst?

Ja – Ich wusste, dass ihr mutig seid.

So wünsche ich Ihnen, geschätzte Damen und Herren, nun einen interessanten Rundgang durch eine besondere Ausstellung, die Sie durchaus berühren soll.

Helfen Sie mit, dem Rassismus keine Chance zu geben.

Ich danke Ihnen bestens für Ihre Aufmerksamkeit.