Der Kommentar

Schweiz

Schwarzer Gipfel

Von Jürg Altwegg

29. September 2008 

Weiß schillert der ewige Schnee. Der Gipfel ist fast ein Viertausender und steht etwas im Schatten von Eiger, Mönch und Jungfrau. Aber mitten in einem Gebirge, das von der Unesco ins Weltkulturerbe aufgenommen werden soll. Im Jahre 1872 wurde der Berg erstmals erklommen und nach dem Schweizer Zoologen, Paläontologen und Geologen Louis Agassiz benannt.

Agassiz war ein universeller Gelehrter. Er klassifizierte Fische und studierte Gletscher. Agassiz wirkte in Paris und machte nach seiner Rückkehr Neuenburg zu einem strahlenden Zentrum der Forschung. Der König von Preußen, das enge Beziehungen zu Neuenburg unterhielt, finanzierte für Agassiz eine Sammlung in Berlin und schickte ihn in die Neue Welt. Nach seinen ersten Vorträgen in Boston gründete die Harvard University in Cambridge eine naturwissenschaftliche Fakultät – für Agassiz wurde eigens ein der Zoologie und Geologie gewidmetes Institut gestiftet. Dann bekam er auch noch ein Museum. Alle Versuche, ihn nach Europa zurückzuholen, scheiterten.


Vordenker der Apartheid

Für die Nachwelt wäre es zweifellos besser gewesen. Denn in Amerika, wo Agassiz 1873 starb, war er auf Abwege gekommen. Er verirrte sich in die Rassentheorie und fühlte sich berufen, die Schwarzen als minderwertig zu bezeichnen und dies auch noch wissenschaftlich zu beweisen. Jede Vermischung hielt er für gefährlich. Jahrzehntelang haben alle Nachschlagewerke dieses trübe Kapitel verschwiegen. Doch jetzt wird aufgeklärt; Agassiz gilt nun plötzlich und keineswegs grundlos als Vordenker der Apartheid, die Schweizer Regierung hat vor Jahresfrist seine rassistischen Theorien verurteilt.

Nur sind nach Agassiz zahlreiche Tiere, Dutzende von Plätzen und Straßen, ein Krater auf dem Mars und in Amerika ein großer See benannt. Ausgerechnet in den Alpen soll jetzt ein Exempel statuiert werden: Sasha Huber, eine in Finnland lebende Künstlerin schweizerisch-haitianischer Abstimmung, hat im Sommer auf dem Gipfel des Agassizhorns demonstriert. In die ganze Welt verschicken die Künstlerin und das Komitee ihre Briefe: an Staatschefs und Minister, an den Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes und auch an Heiner Geißler. Der Gipfel soll um- und nach dem Sklaven benannt werden, mit dem Louis Agassiz seine Rassentheorie illustrierte: in Rentyhorn, 3947 m. ü. M.