ANTWORT DES BUNDESRATS AUF DIE INTERPELLATION SOMMARUGA

Was für eine Antwort kann man von einem Bundesrat erwarten, in dem einer auf der Seite der Rassisten und der Apartheid stand (Christoph Blocher, Gründer der "Arbeitsgruppe Südliches Afrika"), einer im Südafrika der Apartheid Geschäfte machte und dies als unpolitische Aktivität taxierte (Hans-Rudolf Merz, Berater für Schmidheiny, VR Huber + Suhner ) und einem dritten die Walliser (Pascal Couchepin) und einem vierten die Berner (Samuel Schmid) Bergführer wohl näher stehen als das Leiden und die Würde der Opfer der Sklaverei? Im folgenden kommentiere ich die Antwort des Bundesrates.

HF

1. Louis Agassiz war ein grosser Geologe und Zoologe, dafür darf er durchaus Anerkennung finden. Er vertrat andererseits rassistische Ansichten, die weit über das in jener Zeit übliche rassische Interpretationsparadigma hinausgingen. Es besteht kein Zweifel, dass der heutige Bundesrat sein rassistisches Denken verurteilt.

Eine erfreuliche Positionierung des Bundesrates: Sie straft all jene Lügen (und das waren in der bisherigen Debatte viele!), welche behauptet haben, Agassiz' Rassismus sei zu seiner Zeit nichts Besonderes gewesen, die meisten Schweizer und die meisten Schweizer Denker jener Zeit seien auch Rassisten gewesen.

2. Die Frage, ob Äusserungen historischer Personen unserer gegenwärtigen Bundesverfassung widersprechen, stellt sich so nicht. Zwar hat jede Zeit ihre gesellschaftlichen Werte auch in der kritischen Konfrontation mit den Vorfahren zu messen, doch sollte dies nicht zu einer posthumen Verurteilung des ganzen Lebenswerks einer Person führen.

Es geht nicht um Äusserungen historischer Personen an sich, sondern um die Tatsache, dass die heutige Schweiz inmitten des Weltnaturerbes "Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn" zweimal (Agassizhorn und Agassizjoch) immer noch eine Person ehrt, deren Name für die Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit steht. Es geht nicht um die posthume Verurteilung des ganzen Lebenswerks einer Person. Die glaziologischen und zoologischen Verdienste von Louis Agassiz sind nie in Zweifel gezogen worden und würden auch nach der Umbenennung in rund zwanzig Ortsnamen auf der Erde, zwei Ortsnamen im Weltall, vier Tierarten sowie in sämtlichen geologischen und zoologischen Fachpublikationen weiter bestehen. Auch würde das Agassizjoch seinen Namen behalten. Es geht im Falle Louis Agassiz eben um ein Abwägen zwischen naturwissenschaftlichen Verdiensten einer Person und der Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das transatlantische Komitee "Démonter Louis Agassiz" hat dieses Abwägen vorgenommen und ist zum Ergebnis gekommen, dass letzteres unendlich viel schwerer wiegt. Der Bundesrat hat sich um dieses Abwägen gedrückt.

3. Das Agassizhorn wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zusammen mit benachbarten und damals noch namenlosen Gipfeln nach den Pionieren der Alpenforschung benannt. Diese Bezeichnungen haben sich seither eingebürgert und es besteht kein Grund, sie zu ändern. Die Louis Agassiz damit zugestandene Auszeichnung steht nicht im Widerspruch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit seinen rassistischen Ansichten.

Das Agassizhorn wurde nicht einfach "zu Beginn des 19. Jahrhunderts zusammen mit benachbarten und damals noch namenlosen Gipfeln nach den Pionieren der Alpenforschung benannt". Es war vielmehr so, dass eine Expedition unter der Leitung von Agassiz 1840 handstreichartig rund zehn namenlose Gipfel bzw.  sonstige markanten Punkte an so genannte "Pioniere der Alpenforschung" vergab, wobei es sich zum Teil um Freunde von Agassiz handelte, die wir er selbst erst am Anfang oder mitten in ihrer wissenschaftlichen Karriere standen. Zu diesem naturwissenschaftlichen Männerbund gehörten u.a. der Berner Geologe Bernhard Studer ("Studerhorn", "Studerjoch"), zur Zeit der Benennung 46 Jahre alt, der Zürcher Geologe Arnold Escher ("Escherhorn"), 33 Jahre alt, der Solothurner Naturforscher Franz Joseph Hugi ("Hugihorn", "Hugisattel"), 49 Jahre alt sowie der deutsche Sekretär von Agassiz Édouard Desor ("Desorhorn"), 29 Jahre alt. Diese grossangelegte Benennungsaktion, in deren Rahmen der 33-jährige Agassiz gewissermassen als "Gegengeschenk" auch seinen Gipfel und sein Joch bekam, war durchaus nicht unumstritten. So schrieb ein SAC-Mitglied: "Es ist meiner Ansicht nach eine Anmassung unserer Generation,  Gebirge, die Hunderttausende von Jahren älter sind als wir und uns ebenso viele Jahre überleben werden, mit unserem flüchtigen Leben in unzertrennliche Verbindung bringen zu wollen." Wenn im übrigen allein die Tatsache, dass sich Namen "eingebürgert haben", dagegen sprechen soll, in ausgewählten Fällen Umbenennungen vorzunehmen, dann müsste der Bundesrat logischerweise die Umbenennungen von "Leningrad", "Stalingrad", "Rhodesien", "Pretoria" oder der unzähligen "Hitler-Strassen" und –plätze in Deutschland für falsch befinden.

4. Das Bundesamt für Landestopografie bzw. der Bund ist für die Be- oder Umbenennung von Berggipfeln oder anderen geografischen Objekten nicht zuständig. Ansprechpartner für die Vergabe oder Änderung von geografischen Namen sind die Kantone in Zusammenarbeit mit den kantonalen Nomenklaturkommissionen und den betroffenen Gemeinden. Im Fall des Agassizhorns und des Agassizjochs sind dies die Gemeinden Fieschertal (VS) sowie Grindelwald und Guttannen (BE). Das Bundesamt für Landestopografie übernimmt zur Nachführung der Namen im Landeskartenwerk die Meldungen der Kantonsgeometer und der Nomenklaturkommissionen, die für die Beurteilung der Benennung oder Umbenennung von geografischen Namen verantwortlich sind. Die Namensgebung der Dufourspitze durch den Bundesrat im Jahr 1863 bildet eine Ausnahme und stellt daher keinen Präzedenzfall dar. Dies auch, weil, da die vorherige Bezeichnung ("Höchste Spitze") eine unspezifische war, sie im Rahmen der heute abgeschlossenen, in jener Zeit jedoch aktiven geographischen Erfassung und Kartierung der Schweiz erfolgte.

Mit der Unterscheidung zwischen "Ausnahme" und "Präzedenzfall" schlägt der Bundesrat einen logisch-juristischen Salto Mortale. Mit dieser geradezu peinlichen Spitzfindigkeit versucht der Bundesrat des Jahres 2007 von der Tatsache abzulenken, dass der Bundesrat des Jahres 1863 offenbar zum Ergebnis gekommen ist, dass es Fälle gibt, in denen die Landesregierung sich über den normalerweise üblichen Nomenklaturweg "Gemeinde-Kanton-Landestopographie" hinwegsetzen kann und es auch tut. Ob es sich dabei um eine "unspezifische Bezeichnung" handelt, ist dabei unerheblich.  Gerade die Geschichte der Entkolonialisierung sowie der Umgangs mit dem Erbe von Sklaverei, Rassismus, Stalinismus und Faschismus zeigen, dass die Namensgebung von Strassen, Plätzen und geographischen Formationen kein abgeschlossener Prozess ist. Wer die Umbenennung eines Gipfels als Ausnahme akzeptiert, wenn es um einen Schweizer General und Kartographen geht, eine solche aber ablehnt, wenn die Würde der Opfer von Sklaverei und Rassismus auf dem Spiel steht,  bezieht eine äusserst fragwürdige politisch-historische Position.  In  diesem Zusammenhang ist erstens daran zu erinnern, dass im Februar 2004 in Cambridge (Massachusetts)  die "Agassiz Grammar School" umgetauft wurde, und zwar in Gedenken an die erste schwarze Rektorin einer rassisch gemischten Schule in Neu England in "Maria L. Baldwin School".  Zu erinnern ist zweitens an die Stadt St.Gallen, welche Mitte der 80-er Jahre die Forderung der Anti-Apartheid-Bewegung ablehnte, die Krügerstrasse (benannt nach Paul "Ohm" Krüger, dem Vorkämpfer des burischen Nationalismus und  der weissen Suprematie in Südafrika) in Mandelastrasse umzutaufen.  Der Stadtrat tat dies unter anderem mit dem (aus der Agassiz-Debatte bekannten) Argument, man könne nicht alle Stadt- und Strassenpläne neu machen und den Anwohnerinnen und Anwohnern eine neue Adresse zumuten. Peinlicherweise musste sich die Stadtregierung dann sagen lassen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die "unspezifisch bezeichnete" Wienerbergstrasse in Guisanstrasse umbenannt worden war. Zusammenfassend könnte man mit Blick auf Bundesrat und St.Galler Stadtregierung sagen: Wer für einen General einen Erinnerungsort sucht, findet einen Weg, wer sich in Sachen Apartheid und Rassismus um eine klare Positionierung drücken will, findet eine Ausrede.