Geschichtsträchtig und anspruchsvoll

Einmal schauen reicht nicht bei Hans Fässlers Kabarettprogramm "Louverture stirbt 1803"

Warum das in jeder Hinsicht anspruchsvolle Kabarettprogranun von Hans Fässler nur sehr wenige Besucher ins Alte Kino lockte, wird sich wohl nicht eruieren lassen. Bei jenen, die da waren, blieb sicher neben der gut durchgeschüttelten Lachmuskulatur die Faszination über die Vielseitigkeit des Künstlers, verbunden mit kleinen, geschichtsträchtigen Fragezeichen.

VON KATRIN WETZIG

MELS Das Kabarett - und mit ihm die Kleinkunst - hat viele Gesichter. Wer die leichte Muse suchte, der war bei Hans Fässler, der am vergangenen Samstag seinen Beitrag zum Kantonsjubiläum «Louverture stirbt 1803» im Alten Kino in Mels vorstellte, eindeutig am falschen Ort. Dafür bekam man hier gleich zu Beginn schon ein gerütteltes Mass an Schüttelreimen verpasst, das sich im Weiteren mit Wortspielereien in Basel- und Berndütsch, Appenzeller Dialekt, Französisch und Englisch auf höchstem Niveau fortsetzte.

Persiflagen bekannter Persönlichkeiten wie beispielsweise der des lispelnden Bücherpapstes Marcel Reich Ranicki oder des amerikanische Staranwalts Ed Fagan oder der des ständig im Wind stehenden Auslandskorrespondenten Werner van Gent (unter Zuhilfenahme eines elektrischen Fönes) verleihen dem Ganzen die Würze. Dies obwohl man nur zögerlich dahinter kommt, was Haiti, St. Gallen und das geschichtsträchtige Kantonsgründungsjahr 1803 eigentlich verbindet. Wer es genauer wissen wollte und sich - vielleicht sogar erst im Nachhinein - in Programmbeflage und der dazugehörenden Webseite vertiefte, muss feststellen, dass es tatsächlich Parallelen gibt. Hans Fässler schreibt dazu: «Sollten Sie im Kabarettprogramm einmal einen Zusammenhang, ein Detail, einen Querverweis nicht aufs erste verstehen - trösten Sie sich: Mir geht es schon seit drei Jahren so, also seit ich begonnen habe, mich «à la recherche des histoires perdues» mit St. Gallen und Haiti auseinander zu setzen.» Dass es, wie zum Ende des ersten Teiles angekündigt - nicht zu einer Lernkontrolle kam, dürften sicherlich fast alle Zuschauer mit Aufatmen quittiert haben.

Geschichte geschickt verpackt

Wie ein buntes Fernsehprogramm präsentiert Hans Fässler sein Kabarettprogramm. Bei «XY Chromosom» ist man bemüht, den Vater vom zweihundertjährigen Megasenior SG aus CH zu suchen. Grossartige Erfolge, selbst wenn nur ein «Föteli vom Föteli» vorlag, könne man bereits vorweisen. Und schon mit der eingeschobenen Werbeeinlage gleitet das ganze ab in geschichtliche Tiefen. Von Napoleon Bonaparte und dem, was der alles auf der Platte hatte, ist die Rede, als es um eine Computer-CD geht. Querverweise führen prompt zum Dreieckshandel und von da aus direkt zum Kreiselverkehr im Kanton St. Gallen. Grosse lästige Länder und kleine lästige Länder (wie beispielsweise St. Gallen) werden durch Ordnerverschiebung einfach politisch neu einsortiert. Wie praktisch! Aber was hat das wiederum mit der Sklaverei und dem transatlantischen Handel zu tun? Dazu in die Tagesschauredaktion, wo eine Direktschaltung zu Werner van Gent neue Erkenntnisse bringt. Bindeglied scheinen demnach die 600 geschichtlich belegten Schweizer Soldaten zu sein (unter ihnen sogar St. Galler), die auf Haiti (damals noch Saint Domingue) unter französischer Flagge für die Wiedereinführung der Sklaverei kämpften. Wenig später gab es weitere Kämpfe auf Haiti, denn unter Leitung des dunkelhäutige Toussaint Louverture kämpften die Haitianer 1802 gegen französische Truppen von Napoleons Schwager General Leclerc. Dieser wollte die französische Herrschaft über die Kolonie wieder herstellen. Louverture wurde gefangen genommen und starb 1803 in französischer Gefangenschaft. Weitere Parallelen bietet die Flagge, denn das st. Gallische Bündel Stäbe mit dem Beil kam auch schon auf Haiti mal vorübergehend zum Einsatz.


Faszinierte wie hier musikalisch, aber beispielsweise auch als windfester Auslandskorrepsondent
Werner van Gent: Kabarettist Hans Fässler (Bild Katrin Wetzig)


Musikalisch vielseitig

Musikalische Einlagen lockern die geschichtliche Gehirnmassage etwas auf. Da kommt zum Beispiel der Ausbau des Flugplatzes Altenrhein als Reinhard-Mey-Persiflage mit: «Unter den Wolken muss der Lärmteppich grenzenlos sein». Nicht minder ausdrucksstark besingt Fässler als Andi Matter die Hemmungslosigkeit der Menschheit in jeglicher Hinsicht mit dem Lied «Hemmige». Das gibt zu denken.

Als besonderes Bonbon dürfte allerdings die Vertonung der Intervalle am Walensee empfunden worden sein. Fässler weist klangvoll darauf hin, dass der Kanton schon immer von aussen geprägt wurde. Lediglich die «Quinten sind aus Quinten und die Quarten - wie zu erwarten und die Terzen zerfallen munter in Ober- und in Unter», wie der Refrain be- und vertont. «Touch the green, green Robidog of Home» tut ein Übriges, um Heimatgefühle aufkommen zu lassen.

Natürlich ergeben sich doch noch Anhaltspunkte über die Vaterschaft vom kleinen weissen Kanton, der zur selben Zeit geboren wurden, als mit Toussant Louverture ein grosser schwarzer Mann starb. So ist anscheinend nicht auszuschliessen, dass der Heilige Gallus etwas damit zu tun hatte. Weitere Unklarheiten lassen sich dank Internetseite "vww.Iouverture.ch" vielleicht noch beseitigen - oder man gönnt sich «Louverture stirbt 1803» einfach anderswo ein zweites Mal.