"Entführung aus dem Detail"

BUCHS - Dass der Kanton St. Gallen, der sein 200-Jahr-Jubiläum dieses Jahr feiert, in Selbstbeweihräucherung ausbricht, ist wohl «normal». Hans Fässier legt in seinem Kabarett den Finger in die Wunde des Jahrmarkts der Eitelkeiten.

Gerolf Hauser

Sehr gründlich recherchiert, bringt Fässler in «Louverture stirbt 1803» einen Geschichtsunterricht der besonderen Art, der Details zwar zeigt, zugleich aber unerwartete Über- und Gesamtblicke bietet («Entführung aus dem Detail»).


Reich und arm

Als Moderator der Fernsehsendung «XY-Chromosom: Kinder suchen ihre Eltern» präsentiert er erstaunliche Väter des Kantons, stellt das reiche St. Gallen dem Armenhaus Haiti gegenüber, dessen General Toussaint Louverture 1803 unweit der Schweiz in französischer Haft starb, nachdem er sich für die Entkolonialisierung der Insel eingesetzt hatte. Fässler stiess bei seinen Recherchen u. a. darauf, dass auf Saint-Domingue (wie die französische Kolonie damals hiess) 600 Schweizer Soldaten, auch St. Galler, für die Wiedereinführung der Sklaverei gekämpft hatten.

Zeugungsakt

Schweizer Banken und Handelshäuser waren stets am Handel mit Sklaven beteiligt. Europas Textilien, Alkohol oder Waffen gegen Sklaven aus Afrika, Sklaven gegen Rohstoffe wie Zucker aus Lateinamerika - profitabler «Dreieckshandel». Da liegen Ausflüge in die Gegenwart oder Nachbarschaft nahe. Kein weiter Weg ist es vom Kapitalkreislauf zu den st.gallischen Verkehrskreiseln. Über jenen in Buchs Richtung Liechtenstein meint Fässler, geplant sei gewesen, die Fontäne, wegen des Regenbogen-Effekts, Richtung Osten,spritzen zu lassen. Das aber "sei vom Fürstentum als verächtliche Geste angesehen worden. «Also hat m
an die Fontäne gedreht. Seither heisst der Kreisel Hans-Adam-Kreis.» Stellt Fässler damit eine neokolonialistische Verbindung zum fürstlichen Basmati-Reis her und sagt deshalb: «Seit dem Verfassungsstreit hört man im Ländle immer öfter das Lied: Les aristocrates à la lanterne»? Lehrreich und unterhaltsam zeigt Fässler, was Sache ist. Das Gegenargument gegen die Entstehung des Kantons während der Französischen Revolution «bei einem Zeugungsakt auf einem Schreibtisch in Paris» heisse, dass St. Gallen 600 n. Chr. beginne mit dem stolpernden Mönch im Steinachtobel. «Damit beruft man sich auf eine Figur, die in ihrer fanatischen Zerstörung der Statuen von Andersgläubigen eine unangenehme Ähnlichkeit mit dem Taliban-Regime aufweist.»


[10.9.03 im Liechtensteiner Volksblatt]