Der Reichtum der Zellweger

Um die Mitte des Jahrhunderts veränderten sich auch die geschäftlichen Beziehungen des Hauses Zellweger, über dessen Handel wir dank einer aussergewöhnlich günstigen Quellenlage ausgezeichnet orientiert sind. Es führte zahlreichere Leinwandartikel, ferner spielte der Transithandel mit fremder Leinwand, die aus Süddeutschland, später sogar aus Schlesien eingeführt wurde, eine immer grössere Rolle. Die gekaufte fremde Leinwand liess man dann auf der Bleiche in Trogen und an anderen Leinwandorten bleichen. Die Färber waren meist Auswärtige, doch besass Trogen eine "Farb". Exportiert wurden die Artikel vornehmlich nach Frankreich, seit 1747 auch nach Spanien, wo namentlich in Cadiz die Leinengewebe vor Abgang eines Convoys nach Amerika sehr gesucht waren. Die Verflechtung mit dem internationalen Handel nimmt erstaunliche Formen an; man vernimmt, dass nicht nur die Kaufleute, sondern auch die Weber in den verstreuten Dörfern des Appenzellerlandes über die Abfahrtszeiten solcher Schiffe orientiert sein wollten und ihre Verkäufe danach richteten.

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Neben der Filiale in Lyon errichtete die Firma 1768 ein Zweiggeschäft in Genua und intensivierte so die Beziehungen zu den italienischen Märkten. Das Handelsgebiet der Zellweger'schen Unternehmungen erstreckte sich auf einen Raum zwischen Malta, Cadiz, Lissabon, London, Glasgow, Hamburg, Königsberg, Petersburg, Moskau, Kaluga, Jassy und Fiume. Indirekte Beziehungen wurden auch zu den spanischen Kolonien in Amerika und den französischen Besitzungen in Westindien unterhalten.

Die Zellweger-Firmen erzielten ihre grossen Erfolge weitgehend wegen ihrer fortschrittlichen Geschäftsmethoden. Ein neuer, nicht immer sympathisch wirkender Stil macht sich bemerkbar: Während die Väter nichts weiter als einen «ehrlichen Zins» für das in der Firma investierte Kapital herauswirtschaften wollten und daher vor allzu weiter Expansion zurückschreckten, tritt nun das Streben nach Gewinn scharf und unerbittlich zu Tage. Man kaufte nicht mehr Leinwand aufgrund des jeweiligen Bedarfs, sondern in Berücksichtigung der Konjunktur. War die Ware nicht von perfekter Qualität oder traf sie verspätet ein, so verlangte man unverzüglich Rabatt. Waren die Lieferanten weit entfernt, so konnten mit solchen Reklamationen ohne weiteres Preiserrnässigungen erzwungen werden. Aus Gründen der Risikoverteilung gründete dasselbe Geschäft verschiedene Gesellschaften und führte besondere Buchhaltungen.

Die Erfolge des Landsfähnrichs Johannes Zellweger-Hirzel, der sich 1774 von seinem Bruder Jakob, dem Landammann, getrennt hatte, sind am augenfälligsten und am besten belegt; er muss in der Periode von 1774 bis 1800 gewaltige Gewinne erzielt haben. Nachdem sein Kapitalkonto im Jahre 1774 59200 Gulden betragen hatte, stieg es bis zum Jahre 1793 auf 540135 Gulden. Das Kontokorrentkonto erreichte im Jahre 1800 die Summe von 465471 Gulden. Um 1800 betrug das gesamte in seiner Gesellschaft investierte Kapital 1,218 Millionen Gulden! Sein Sohn Johann Caspar stellte fest: «Im Jahre 1775 besass mein Vater ungefähr 150000 fl., im Jahre 1798 über eine Million».


[Walter Schläpfer, Appenzeller Geschichte, Bd. II, Herisau 1976, S.206ff.]