Schweizer Banken und der "Black Holocaust"
von Daniel V. Moser

Zu den strittigen Papieren der Rassismus-Konferenz der UNO in Durban gehört bekanntlich auch ein Dokument der afrikanischen Staaten über den Sklavenhandel. Darin werden die westlichen Staaten aufgefordert, die verheerenden Auswirkungen der Sklaverei in Afrika anzuerkennen.

Bereits früher haben die Organisationen der Afro-Amerikaner in den USA den Begriff "Black Holocaust" verwendet, um damit die Epoche des Sklavenhandels und der Sklaverei zu bezeichnen. Die Schätzungen über die Zahl der Opfer des Sklavenhandels vom 15. bis zum 19. Jahrhundert gehen weit auseinander: Es wird ein Minimum von 60 und ein Maximum von 100 Millionen Menschen angenommen.

Der Sklavenhandel zwischen Afrika und Amerika lag vorerst in den Händen der Portugiesen, später der Holländer, Engländer, Franzosen und (in geringerem Ausmass) auch der Dänen und Schweden.

Im 17. und 18. Jahrhundert spielte der Sklavenhandel als ein Element des sogenannten "Dreieckhandels" zwischen Europa, Afrika, Amerika und Europa eine wichtige Rolle: Europäische Handelsfirmen brachten Textilien, Alkohol und Waffen nach Afrika, gegen diese Waren tauschten sie Sklavinnen und Sklaven ein, verkauften sie an die Besitzer von Zuckerrohrplantagen in der Karibik und transportierten das damalige Luxusprodukt Zucker nach Europa. Die durchschnittliche Lebenserwartung für einen schwarzen Sklaven auf einer Zuckerrohrplantage betrug 7 Jahre - so hart waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen. Später wurden die afrikanischen Sklavinnen und Sklaven auf den Kaffee- und Baumwollplantagen Nordamerikas eingesetzt.

Die Ausrüstung eines Sklavenschiffes erforderte wesentlich höhere Investitionen als ein gewöhnliches Handelsschiff: Die Zahl der Matrosen musste verdoppelt werden, wegen der vielen Risiken waren die Schiffseigentümer gezwungen, wesentlich höhere Löhne zu bezahlen. Die Matrosen und die Menschenfracht mussten ernährt werden, folglich waren sehr viele Lebensmittel erforderlich. Wegen der Revolten der versklavten Menschen benötigte die Mannschaft mehr Waffen; die Versicherungsprämien waren in diesem Risikogeschäft wesentlich höher. Alle diese Faktoren trugen dazu bei, dass die Schiffsunternehmer des Sklavenhandels wesentlich umfangreichere Kredite benötigen, als gewöhnliche Reedner.

Bereits im 18. Jahrhundert bestand in Europa ein gut ausgebautes Bankennetz. Durch die Arbeiten des Basler Historikers Herbert Lüthy (1) sind wir gut über das französische Bankwesen informiert: Einige Schweizer Privatbanken spielten um 1750 in Frankreich eine zentrale Rolle, namentlich Genfer Banken wie Cottin, Lullin et Rilliet, Thellusson et Necker, Mallet, Cottin, aber auch Guiger de Prangins (Waadt), Marcuard (Bern), Guldimann (Solothurn), Rougemont (Neuenburg), Labhard (Steckborn) und Hottinger (Zürich). Der Bankier Necker wurde nicht von ungefähr kurz vor der Revolution französischer Finanzminister.

Das wichtigste Zentrum des französischen Sklavenhandels war die bretonische Hafenstadt Nantes; er lag vor allem in den Händen protestantischen Unternehmer.(2) Protestantische Unternehmer standen in einem engen Vertauensverhältnis zu den protestantischen Banken. So finanzierte beispielsweise die Bank Thellusson den Sklavenschiffsreedner Gabriel Michel in Nantes, die Bank Mallet den Unternehmer Marocelles usw. Die Banquiers Cottin, Banquet und Mallet unterstützten massiv die Sklavenhändler David und Abraham Gradis, die nicht zuletzt dank dieser Unterstützung 1748 die berüchtigte Sklaveninsel Gorée vor Dakar übernehmen konnten.

Hans Werner Debrunner zeigte auch andere Verbindungen zwischen Schweizer Unternehmern und dem Sklavenhandel auf (3) : So finanzierte das Basler Handelshaus Burckhardt (Seegerhof) seit 1782 Sklavenhandelsfirmen in Nantes, ja beteiligte sich 1790 über eine Tochterfirma Bourcard et fils direkt an der Ausrüstung eines Sklavenschiffes. Auch andere Basler Geschäftsleute hatten hier beigetragen, so der bekannte Christoph Merian.

Viele Schweizer Banken waren über andere Wege als die direkte Finanzierung mit dem Sklavenhandel verbunden. Die wichtigsten waren:

- Durch Zeichnung von Aktien der französischen "Compagnie des Indes": Ueber die Genfer Banquiers kaufte auch die Berner Patrizierbank Marcuard und die Zürcher Bank Leu Aktien dieser staatlich privilegierten Handelsgesellschaft, die unter anderem auch über ein Monopol im westafrikanischen Sklavenhandel verfügte.
- Genfer und andere Schweizer Banken zeichneten viele Aktien von französischen Versicherungsgesellschaften. Wie bereits angedeutet, deckten die Versicherungsgesellschaften die hohen Risiken der Sklavenhandelsfirmen ab.
- Die Textilindustrie in Nantes - vor allem die Indienne-Druckerei - lag überwiegend in den Händen schweizerischer Industrieller. Die Indienne-Stoffe dienten den "Négriers" in den afrikanischen Häfen als beliebte Tauschware gegen Sklavinnen und Sklaven.

Andere Verbindungen

Schweizer Banken investierten nicht nur im französischen, sondern auch im Sklavenhandel andere Länder. Herbert Lüthi erwähnt den Fall der staatlichen Dänischen Indischen Kompagnie (4) von 1760: Der Genfer Banquier Urbain Roger war Finanzberater des dänischen Königs und organisierte in dieser Funktion eine grosse Anleihe für die dänische Handelsgesellschaft. Dänemark beteiligte sich ebenfalls am Sklavenhandel und unterhielt zu diesem Zwecke unter anderen das Fort Christiansborg (5) an der damaligen Goldküste (heute Sitz der ghanaischen Regierung) und die Zuckerinsel Curação in der Karibik. Angeblich sollte die Anleihe dem Aufbau eines militärischen Schutz der dänischen Handelsflotte im Siebenjährigen Krieg dienen (1756-1763), doch schützten die Dänen damit gleichzeitig ihren Sklavenhandel. Mit 100 0000 Talern beteiligte sich das Berner Patriziat massiv an dieser Anleihe, während Zürich mit 40 000 für einmal zurückblieb (davon stammte die Hälfte aus der Bank Leu). Als Finanzplatz war Bern im 18. Jahrhundert wichtiger als Zürich ...

Die Schweizer Banken des 18. Jahrhunderts besassen selbstverständlich auch Niederlassungen in den wichtigsten Finanzplätzen der Zeit, in London und Amsterdam. Es wäre zu untersuchen, wie weit über diese Niederlassungen Schweizer Beteiligungen am Sklavenhandel nachzuweisen sind. England spielte namentlich im Sklavenhandel im südlichen Afrika - zusammen mit Portugal - eine wichtige Rolle.(6)

Einschätzungen und Wertungen

Viele europäische Staaten tragen die Verantwortung für das düstere Kapitel des Sklavenhandels, vorab die grossen Sklavenhandelsnationen wie Portugal, Frankreich, die Niederlande und England. Aber man muss feststellen, dass die Schweiz nicht unbeteiligt ist: Schweizer Banken haben offensichtlich direkt und indirekt finanziell am Sklavenhandel mitgewirkt.

In den USA setzte schon vor einigen Jahren eine eifrige Diskussion über die Frage geführt, ob sich der Kongress bei den Afro-Amerikanern offiziell für die Sklaverei entschuldigen solle oder nicht (7). Gleichzeitig ertönt auch der Ruf nach finanzieller Entschädigung der Nachfahren der Sklavinnen und Sklaven. Nach Umfragen werden diese Vorschläge von 2/3 der Afroamerikaner unterstützt, während sie von den Weissen im gleichen Zahlenverhältnis abgelehnt werden.

Aber auch in afrikanischen Staaten taucht seit einigen Jahren die Forderung auf, ob nicht die europäischen Staaten und die USA für den Sklavenhandel und dessen Folgen für die afrikanische Gesellschaft Entschädigungen zahlen müsste. Es geht dabei nicht lediglich um die Millionen Menschen, die Afrika verloren gingen, sondern auch um die indirekten Folgen des Sklavenhandels für Afrika. Der afrikanische Historiker Joseph Ki-Zerbo hat schon vor langer Zeit auf diese Aspekt hingewiesen: Kriege wurden zu einem Dauerzustand in der afrikanischen Gesellschaft, was die weitere Entwicklung der Landwirtschaft und des Handwerks verhinderte. Die staatlichen Strukturen konnten sich ebenfalls nicht weiterentwickeln, für Westafrika spricht er von einer "Balkanisierung." Der Sklavenhandel hat ferner dazu geführt, dass kein Bevölkerungswachstum stattfinden konnte. (8) Der Sklavenhandel hat zur Unterentwicklung Afrikas wesentlich beigetragen, wenn er auch nicht der einzige Faktor dazu ist.

Die Debatte um Sklaverei und Sklavenhandel ruft in Erinnerung, dass bereits im 18. Jahrhundert so etwas wie ein globales System des Welthandels bestanden hat. (9) Ein Bestandteil dieses Welthandelssystems war der atlantische Dreieckshandel, zu dem das Element des Sklavinnen- und Sklavenhandels nach Amerika gehörte. Dass innerhalb dieses Welthandelssystem die schon im 18. Jahrhundert gut entwickelten Schweizer Banken im Dreckgeschäft dieses Handels eine gewisse Rolle spielten, kann eigentlich nicht überraschen, legten sie doch ihr Geld dort an, wo es etwas abwarf. Ohne moralische Hemmungen stützten die protestantischen Banken schliesslich auch den Hof des "roi très catholique" von Frankreich.

Werden Schweizer Banken nach den Auseinandersetzungen um die nachrichtenlosen Vermögen im Zusammenhang mit dem jüdischen Holocaust für ihre Mitfinanzierung des "Black Holocaust" zur Verantwortung gezogen? Dass dieser zeitlich weiter zurückliegt, dürfte eigentlich kein Hinderungsgrund sein, sind doch die Folgen bis heute wirksam. Die Zusammenhänge zwischen Sklavenhandel und Schweizer Banken mögen aufzeigen, wie sehr Teile der schweizerischen Wirtschaft in der Weltgeschichte eingebunden sind und sich deshalb auch der Mitverwantwortung für deren schwarzen Seiten nicht entziehen können.


Fussnoten

(1) Lüthi Herbert: La Banque Protestante en France, de lla Révocation de l'Edit de Nantes à la Révolution, Paris 1959. Ferner: Pétré-Grenouilleau Olivier: l'argent de la traite. Milieu négrier, capitalisme et développement: un modèle. Paris 1996
(2) Renault François, Daget Serge:Les traites négrières en Afrique, Paris 1985; Crété Liliane: La traite des nègres sous l’Ancien Régime , Paris 1989; La traite négrière du XVe au XIX e siècle. Documents de travail et compte rendu Paris 1979, Loth Heinrich: Sklaverei. Wuppertal 1981
(3) Debrunner Hans Werner: Schweizer im kolonialen Afrika. Basel 1991; 1755 gibt es in Nantes ein Schiff mit dem Namen "Les 13 Cantons" vgl. Meyer Jean: l'armement nantais dans la deuxième moitié du XVIIIe siècle, Paris 1969
(4) Lüthi Herber, op.cit., S. 74 ff.
(5) vgl. Dantzig Albert van: Forts and Castles of Ghana. Accra 1980 ; zum dänischen Sklavenhandel eine sehr anschauliche Beschreibung: Isert Paul Erdman: Voyages en Guinée et dans les îles Caraïbes en Amérique. Paris 1989 (Karthala)
(6) Miller Joseph C.: Way of Death. Merchant Capitalism and the Angolan Slave Trade. 1730-1830.Princeton 1988.
(7) "Jeune Afrique" No. 1912/1997, S.33
(8) Ki-Zerbo Joseph: Histoire de l'Afrique noire. Paris 1978
(9) vgl. dazu: Wallerstein Immanuel: Das moderne Weltsystem II – Der Merkantilsimus. Europa zwischen 1600 und 1750. Wien 1998 (Promedia); Braudel François: Civilisation matérielle, économie et capitalisme, drei Bände, Paris 1979 (Armand Colin)


[Aus der Schweizerischen Lehrerzeitung 11/97]