Der transatlantische Sklavenhandel

Keine weiße Weste für die Schweiz

Zu lange ist die Tragödie des Sklavenhandels von den Verursachern heruntergespielt worden, und die Betroffenen hatten keine Stimme in der Weltöffentlichkeit. Das hat sich geändert: Heute sind wir alle aufgefordert, uns mit dieser schrecklichen Vergangenheit auseinander zu setzen.

Der transatlantische Sklavenhandel war nicht, wie uns in den Geschichtsbüchern beigebracht wurde, ein Höllenhandel zwischen ruchlosen Sklavenhändlern in Afrika und Plantagenbesitzern jenseits des Atlantiks. Ideen, Finanzierung und Ausrüstung kamen in erster Linie aus Europa. Der transatlantische Sklavenhandel begann im 15. Jahrhundert. Portugiesen brachten als Beweis, dass sie in Schwarzafrika waren, Afrikaner und Afrikanerinnen nach Portugal. Es gehörte in Portugal bald zum guten Ton, einen schwarzen Sklaven zu haben. Um 1550 waren 10 Prozent der Einwohner Lissabons schwarz ! Der Sklavenhandel in großem Maße begann aber mit den Spaniern. Die Indianer, die gezwungen wurden, in den Pflanzungen der Spanier zu arbeiten, wiesen eine sehr hohe Sterberate auf. Deshalb wurden Menschen aus Afrika nach Amerika gebracht, die angeblich dem tropischen Klima besser gewachsen waren.


Ideologie aus menschenverachtender Küche

Aus dieser Idee entwickelte sich der berüchtigte Dreieckshandel. Wolle, Baumwolle, Rum, Eisenstangen, Schießpulver, Gewehre und Glasperlen wurden nach Afrika exportiert. Dort luden die Reeder ihre Schiffe mit Sklaven voll, die sie nach Amerika brachten. Aus Amerika wurden tropische Plantagenprodukte nach Europa importiert, wie Kakao, Baumwolle, Reis, Tabak, Rohrzucker, Kaffee und Indigo. Holländer, Franzosen und Engländer waren in den folgenden Jahrhunderten die Hauptbeteiligten dieses Wirtschaftssystems.

In einer menschenverachtenden Küche wurde eine Ideologie zusammengebraut, bar jeden gesunden Menschenverstandes. Das englische Parlamentsmitglied George Rose sagte im Jahre 1807: «Mir fällt kein jetzt lebender Mann ein, der ohne Vorurteile zu der Meinung kommen könnte, dass die Neger sich nach der Befreiung in einer besseren Situation befinden als jetzt. » Basierend auf solch verzerrten Theorien wurden riesige Investitionen über lange Zeiträume gemacht, denn ein Dreieckshandelsgeschäft konnte Jahre dauern. Kaufleute schlossen sich in Gesellschaften zusammen, so die Westindische Kompanie, die Königliche Abenteuer-Kompanie von Afrika oder die Portugiesische Guinea Kompanie. Mit diesen konnten sie nicht nur das nötige Geld bei den Banken auftreiben und Versicherungen abschließen, sondern auch Einfluss bei den politischen Machthabern gewinnen und Monopole für gewisse afrikanische Gebiete erlangen.


Millionen von Deportierten, Millionen von Toten

Der Sklavenhandel dauert bis ins 19. Jahrhundert. Von 1800 bis 1850 wurde er in den europäischen Staaten nach und nach verboten, und 1862 soll das letzte illegale Sklavenschiff von Mosambik nach Brasilien gefahren sein. Die USA schaffte die Sklaverei offiziell im Jahre 1865 ab.

Was zwischen Anfang und Ende des Sklavenhandels passierte, ist unvorstellbar. Die Afrikaner und Afrikanerinnen wurden wie Ware behandelt. Man sprach von «Ebenholz» und von einer Lieferung von «10 Tonnen Neger». Bei der Gefangennahme, in den Sklavenhäusern, bei der Überfahrt und auch später auf dem amerikanischen Kontinent wurden Millionen von Menschen abgeschlachtet. Neugeborene wurden in den Sklavenstationen den Hyänen vorgeworfen und Kinder vor der Ankunft in Amerika über Bord geworfen.

Auf jeden deportierten Sklaven werden heute vier bis fünf Todesopfer gerechnet. Wie viele Millionen Afrikaner und Afrikanerinnen nach Süd-, Mittel- und Nordamerika verschifft wurden, schätzen Quellen unterschiedlich ein. Jean Meyer, Historiker und Autor des Buches «Esclaves et Négriers», spricht von 12 bis 14 Millionen. Andere Forscher sprechen von 50 oder gar 100 Millionen, wobei da auch der Ostsklavenhandel mitberücksichtigt ist. Auf 14 Millionen Deportierte kommen 70 Millionen Tote, auf 50 Millionen 250 Millionen Tote.


Sklavenhandel als Basis zu wirtschaftlichem Höhenflug

Die Gewinne aus dem Sklavenhandel wurden in Europa jener Zeit mit 300 bis 800 Prozent angesetzt. So gelang es Frankreich im 18. Jahrhundert, so viel Kaffee zu importieren, dass es diesen in andere europäische Länder weiterexportieren konnte. Der Kaffeeexport stellte 20 Prozent des französischen Gesamtexports dar ! Die europäische Wirtschaft setzte zu einem Höhenflug an. Heutige Forscher sagen, dass die europäische Bereicherung durch den Sklavenhandel die Basis für die Industrialisierung des Kontinents war. Insbesondere für Nordamerika ist die Ausbeutung der Sklaven ebenfalls Basis der heutigen wirtschaftlichen Vormachtstellung.

Auf der andern Seite haben wir ein schuldengeplagtes und von Unsicherheit zerrissenes Afrika. Afro-Amerikaner sind in den USA bis heute schlecht in der Gesellschaft integriert. All die Sklavinnen, die von den Plantagenbesitzer vergewaltigt wurden und deren Kinder trugen, sind von den Weißen vergessen. Mit «20% schwarzem Blut» wird man heute in Nordamerika als schwarz betrachtet und muss mit all den Nachteilen leben, die das mit sich führt.


Wiedergutmachung als Hemmnis gegen Wiederholung

Die Tragödie des Sklavenhandels und seine Folgen schreien geradezu nach einer Entschädigung der Opfer. Der nigerianische Nobelpreisträger der Literatur, Wole Soyinka, will eine Wiedergutmachung aus noch weiteren Gründen: «Wiedergutmachung dient, das möchten wir noch einmal wiederholen, als eine überzeugende Kritik der Geschichte und somit als ein starkes Hemmnis gegen Wiederholung.» Afrikaner Afrikas und der Diaspora haben nach vielen anderen Bevölkerungsgruppen (jüdische Opfer des 2. Weitkrieges, Indianer, Opfer des Golfkrieges, koreanische Frauen, internierte Japaner während des 2. Weltkrieges) eine Schadenersatzklage eingereicht. 777 Tausend Milliarden Dollar werden von der African Worid Repatriation and Reparation Truth Commission (AWRRTC) verlangt. Darin sind gemäß Kofi Annan die Anzahl verlorener Leben in Afrika während des Sklavenhandes wie auch die Schätzung von Gold, Diamanten und Mineralien, die während der Kolonialzeit entwendet wurden, einberechnet.

URSULA SINGENBERGER

Literaturhinweis: Die Last des Erinnerns. Was Europa Afrika schuldet - und was Afrika sich selbst schuldet. Wole Soyinka. Patmos Verlag 2001

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Bildlegende:

Das Sklavenhaus in Gorée ist ein schauerliches Mahnmal. Es bedrängt einen mit Fragen. Wie viele Sklaven waren in den Kerkern von Goriée gefangen gewesen? Wer waren sie? Wie viel davon wurden getötet? Wer waren die Sklavenhändler und all die anderen, die diesen Handel mit Worten und Taten unterstützten? Gorée ist eine Senegal vorgelagerte Insel und diente im transatlantischen Sklavenhandel als Zwischenstation. «Reise ohne Retour» heißt die Öffinung
aufs Meer im Sklavenhaus auf Gorée. Wer einmal durch die Öffnung gezwungen wurde, kam nie mehr zurück. Die Insel wurde 1978 von der UNESCO als Welterbe der Menschheit deklariert.

Kasten:

Auch Schweizer Firmen und Private verstrickt

In der Schweiz ging man bis vor kurzem davon aus, nicht am Sklavenhandel beteiligt gewesen zu sein. Doch der Historiker Hans Fässler hat durch seine recherchen ausgedeckt, dass schweizer Banken, Versicherungen und einflussreiche Privatpersonen in den transatlantischen Sklavenhandel verstrickt waren. Schweizer Firmen rüsteten Sklavenschiffe mit den grausamen Instrumenten aus, Schweizer Banken zeichneten Aktien für die Versicherungen des Sklavenhandels und Schweizer waltetetn als Plantagenbesitzer. "Wir müssen der Geschichte in die Augen schauen", sagt Nationalrätin Pia Hollenstein, die drei Jahre als Entwicklungshelferin in Papua Neuguinea im Einsatz war und die sich stark für international Zusammenhänge interessiert. Deshalb hat sie dem Bundesrat einen Vorstoss unterbreitet, worin sie die Aufarbeitung der Schweizer Beteiligung am Sklavenhandel und die Ausarbeitung von Entschädigungsvorstellungen zusammen mit zivilgesellschaftlichen Organisatione fordert. Sie wünscht sich, damit eine breite Diskussion in der Oeffentlichkeit zu lancieren und hofft, "dass in die Schweizer Geschichtsbücher eingeht, dass wir keine weisse Weste tragen".

Hinweis: "Louverture stirbt 1803", ein politisches und musikalisches Kabarett über die Verstrickungen der Schweiz im Sklavenhandel, mit Hans Fässler, Lehrer und Kabarettist. RomeroHaus Luzern, Kreuzbuchstr.44, Dienstag, 9. September, 19.30 Uhr.

[Wendekreis 9/2003]