Haiti strahlt bis nach Sankt Gallen

Vor 200 Jahren ist im französischen Jura ein haitianischer Freiheitskämpfer gestorben. Nahe der Schweizer Grenze. Und nahe an der Schweizer Geschichte.

Von Christine D’Anna-Huber und Hannes Nussbaumer

Die Festung steht auf einem Hügel, hoch über der Strasse nach Pontarlier im französischen Jura. Hier, am äussersten und wohl auch kältesten Zipfel Frankreichs, starb am 7. April 1803 Toussaint Louverture, den Kof an den Kaminsims gelehnt.

Genau 200 Jahre steht fröstelnd der haitianische Geschichtsprofessor Michel Hector in der Zelle des «schwarzen Napoleons». Durch das zu drei Vierteln zugemauerte und vergitterte Fenster dringt kaum Licht in das Gewölbe. Dort stehen ein hölzernes Bett, ein Stuhl, ein Tisch und eine Kommode. «Es war Mord, einen Mann, der aus der Wärme kam, hier einzusperren», sagt Hector. Er führt eine Gruppe von fünf Historikern an, die zur Gedenkfeier des Todestages dieses ersten Freiheitskämpfers der «monde noir» nach Frankreich gereist sind.

Dominique Toussaint Bréda Louverture, der Mann, der in seinem kalten Verlies nur noch Toussaint genannt wurde, seine Uniform nicht mehr tragen durfte und in den letzten Monaten vor seinem Tod nicht einmal mehr Papier und Schreibzeug erhielt, wird in Haiti als Nationalheld verehrt.

Schwarze Revolution

1743 kam er als Sohn eines westafrikanischen Sklaven auf einer Plantation in Saint-Domingue zur Welt. Die Insel war die reichste französische Kolonie. Doch die revolutionären Ideale ihrer weissen Herren steckten nach 1789 auch die schwarzen Sklaven an. Toussaint stiess 1791 zu den Aufständischen, die im Namen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einen blutigen Kampf führten. Unter Louvertures Führung brachten die Sklaven die ganze Insel unter ihre Kontrolle. 1801 erliess Toussaint eine Verfassung, die einer Unabhängigkeitserklärung unverschämt nahe kam. Er selbst ernannte sich zum Gouverneur auf Lebzeiten.



Toussaint Louverture, der Sklavenrebell aus Haiti, kommt
in St. Gallen zu Ehren [Bild AKG]


Das war zu viel für Napoleon. Er beschloss, die französische Herrschaft zu restaurieren und die Sklaverei wieder einzuführen. 1802 rückte ein 23’000 Mann starkes Expeditionsheer an, Toussaint geriet in eine Falle, wurde verhaftet und nach Frankreich deportiert. Napoleon hatte befohlen, ihn so weit wie möglich von der Küste entfernt zu verwahren. So kam Toussaint nach Fort-de-Joux.

Der Feldzug wurde für Napoleons Truppen zum Fiasko: Wer nicht im Kampf fiel, wurde vom Gelbfieber dahingerafft. Kaum 2000 französische Soldaten kehrten in die Heimat zurück. Haiti wurde am Neujahrstag 1804 als erster lateinamerikanischer Staat unabhängig. Neun Monate nach Toussaints Tod.

Szenenwechsel: Der Kanton St. Gallen feiert dieses Jahr, zusammen mit den übrigen Mediationskantonen, seinen 200. Geburtstag. Der St. Galler Kabarettist und einstige SP-Politiker Hans Fässler nahm das Jubiläum zum Anlass für ein neues Programm. Weil er dabei aber “nicht einfach die St. Galler Regierung in die Pfanne hauen“ mochte, suchte er nach andern Zugängen. Mit Erfolg. Das Programm heisst. «Louverture stirbt 1803» und spannt einen Bogen von der Geburt St. Gallens zum Tod Louvertures. Beides geschah 1803. Das Faszinierende: Die beiden den Ereignisse verbindet mehr als die Jahreszahl.

So unterstützten 600 Schweizer der dritten helvetischen Halbbrigade Napoleons Armee beim Feldzug nach Haiti, darunter solche aus dem Kanton St. Gallen. Einer, Jean Baptiste Gächter aus Rorschach, diente als Offizier. Er kam wie die übrigen St. Galler in Haiti ums Leben. Von den 600 Schweizern überlebten nur 7.

Am Sklavenhandel beteiligt

FässIer stiess im Lauf seiner Recherchen auf ein weiteres Verbindungsglied: Diverse Handelshäuser und Banken verdienten am internationalen Sklavenhandel mit. Auch dieses Element ist Teil seines Programms.

Für die grüne St. Galler Nationalrätin Pia Hollenstein war Fässlers Kabarett Anlass für eine Interpellation. Sie will vom Bundesrat erfahren, was er davon hält, "dass Teile der schweizerischen Wirtschaft und Gesellschaft viel enger mit der Sklaverei verknüpft waren, als es der öffentlichen Meinung und der Geschichtsforschung bisher bewusst war". In diversen Kantonen und Gemeinden wurden ähnliche Vorstösse eingereicht.

Das (vom Kanton St..Gallen.im Rahmen der Jubiläumsaktivität mitfinanzierte) Kabarettprogramm komme beim Publikum sehr gut an, sagt Fässler. Negative Reaktionen seien bisher nicht eingetroffen. Demnächst wird er vor der St. Galler Regierung in corpore auftreten. Gegen potenzielle Anfeindungen hat er sich präventiv gewappnet. Im Abspann des Programms heisst es: «Ich danke dem Kanton St. Gallen für die grosszügige Unterstützung seiner eigenen Rufschädigung.»

So erfährt Louverture aus Anlass seines 200. Todestags eine doppelte Würdigung. Die inoffiziell-kabarettistische. Und die offizielle. Zur Letzteren gehören die Feierlichkeiten zu Toussaints Ehren, die während der nächsten Monate in Frankreich stattfinden, unter dem
Patronat von Staatspräsident Jacques Chirac und mit Beteiligung der haitianischen Regierung und der Unesco.

Am vergangenen Montag fand in Fort-de-Joux zum Auftakt eine offizielle Gedenkfeier statt. Universitätsprofessor Michel Hector und sein fünfköpfiges “Comité du bicentenaire de Toussaint“ haben daran absichtlich nicht teilgenommen: „Toussaint ist für die Freiheit gestorben“, sagt Hector, „wir wollen nicht Komplizen dabei sein, wenn sich die heutige haitianische Regierung auf ihn beruft. Noch nie war das Land so wenig demokratisch, so abhängig vom Ausland wie heute.“