Tagesanzeiger, 5.2.04

Mühe mit Uno-Jahr zur Sklaverei

Für einmal hält die offizielle Schweiz vorsichtig Distanz zu einem Uno-Jahr. Als ob sie mit seinem Thema Sklaverei einst und heute nichts zu tun hätte. Doch nun regt sich Interesse.

Von Bruno Vanoni, Bern


«Internationales Jahr zum Gedenken an den Kampf gegen die Sklaverei und an ihre Abschaffung» - unter dieses Motto haben die Generalversammlungen der Uno und der Unesco das Jahr 2004 gestellt. Die Sonderorganisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur sucht und vermittelt seit zehn Jahren mit ihrem Projekt Sklavenroute die «historische Wahrheit» über den Sklavenhandel. Sie propagiert das Gedenkjahr 2004 auch zur Bekämpfung aller neuen Formen von Sklaverei.

Sonst bei allen Uno-Jahren dabei

Die Kunde, dass dieses Jahr international der Sklaverei gewidmet ist, hat sich in der Schweiz noch nicht weit verbreitet. So wussten zu Jahresbeginn einschlägige Bun-desstellen noch überhaupt nichts davon. Und selbst bei Leuten, die sich im Aussendepartement (EDA) mit der federführenden Unesco befassen, war zunächst nichts bekannt über Schweizer Aktivitäten zum internationalen Jahr zur Sklaverei. Das ist erstaunlich, da sich die Schweiz gewöhnlich an den Uno-Jahren beteiligt, dazu Veranstaltungen durchführt, oft besondere Organisationsstrukturen aufbaut und sogar Mittel für Projekte bereitstellt. So war es jedenfalls beim Jahr der Frau, der Familie, der Jugend, der Senioren, der Freiwilligenarbeit, der Berge und des Wassers.

Schon jetzt zeichnen sich grosse Aktivitäten für das Jahr des Sports ab, das die Uno-Generalversammlung auf Wunsch des Sonderbeauftragten Adolf Ogi fürs kommende Jahr 2005 ausgerufen hat. Selbst beim Jahr des Reises, das die Uno-Landwirtschaftsorganisation (FAO) am 12. Februar mit einer Konferenz in Rom eröff-net, macht die Schweiz mit: David Syz, der Staatssekretär für Wirtschaft, soll die helve-tischen Aktivitäten zum Reis-Jahr 2004 am 18. Februar im Museum der Kulturen in Ba-sel lancieren.


Vom Sklavenhandel profitiert

Das Abseitsstehen beim Uno-Gedenkjahr zur Sklaverei wird gerne damit gerechtfertigt, dass die Schweiz in der Kolonialzeit nicht in den Handel mit mehreren Millionen Sklaven verwickelt gewesen sei. Dieses entlastende Vorurteil ist freilich durch die historische Forschung längst widerlegt. Zudem hat der St. Galler Kabarettist, Lehrer und einstige SP-Kantonsrat Hans Fässler mit einer Produktion zum 200-Jahr-Jubiläum des Kantons St. Gallen ein breiteres Publikum darauf aufmerksam gemacht, dass berühmte Schweizer Familien, Handelshäuser und Bankiers am Sklavenhandel beteiligt waren. Sie finanzierten Sklavenschiffe, besassen in Übersee Plantagen mit Sklaven, handelten mit Gütern aus Sklavenarbeit und halfen als Söldner mit, Sklavenaufstände niederzuschlagen.

Diese vielfältigen Verwicklungen wurden im letzten Jahr mit parlamentar-schen Vor-stössen im Nationalrat, in zehn Kantonen und vier Städten aufs politische Tapet gebracht. In den Antworten, die allesamt auf Fässlers Projekt-Homepage (www.louverture.ch) dokumentiert sind, legen die angefragten Exekutiven von Bund, Kantonen und Städten eine grosse Berührungsangst zum Thema zu Tage. Sie betonen durchwegs, dass aus der Schweiz nur Private, aber keine staatlichen Instanzen in den Sklavenhandel verwickelt gewesen seien. Und sie hüten sich meist davor, für die weitere Erforschung des unrühmlichen Geschichtskapitels staatliche Unterstützung zuzusagen.


Im Kampf gegen Sklaverei engagiert

Die defensiven, vorsichtigen Stellungnahmen mögen in den schwierigen Erfahrungen begründet sein, die Schweizer Behörden mit der historischen Aufarbeitung der Nazi-Zeit gemacht haben. Einzig die Waadtländer Regierung hat die Gelegenheit genutzt: Sie hat darauf aufmerksam gemacht, dass der 1767 in Lausanne geborene und später auch in Genf wirkende Publizist und Politiker Benjamin Constant ein Wortführer der damaligen Sklavereigegner war. Es könnte im Uno-Jahr noch an andere Beiträge aus der Schweiz erinnert werden: an den Genfer René Claparède zum Beispiel, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit seiner Schweizer Hilfsgesellschaft für die afrikanischen Sklaven führend beim Kampf gegen den Sklavenhandel im Kongo mitwirkte. Immerhin hat die vom Bundesrat eingesetzte Schweizer Unesco-Kommission in ihrem neuesten Rundbrief und auf ihrer Homepage begonnen, das Gedenkjahr und entsprechende Publikationen bekannt zu machen.

Und verspätet macht sich doch noch Interesse bemerkbar. So erwägt zum Beispiel die Berner Schulwarte, die Unterrichtsmaterial für die Volksschulen in Bern, Freiburg und Solothurn bereitstellt, eine kleine Ausstellung für Lehrpersonen und eine Link-Sammlung zum Thema Sklaverei zu organisieren. Und im EDA macht man sich Ge-danken, ob und wie man das Uno-Jahr für das Engagement gegen moderne Formen der Sklaverei nutzen könnte. Nach Schätzungen der Unesco leben heute noch mindestens 27 Millionen Menschen in Sklaverei. Dazu zählen Bauern, die in Asien und Lateinamerika in Schuldknechtschaft von Grossgrundbesitzern leben, zwangsrekrutierte Kindersoldaten und verkaufte Frauen, die - auch in der Schweiz - zur Prostitution gezwungen werden.