Gesellschaft

Weisse Herren, schwarze Fracht

Die Schweiz hatte keine Kolonien, aber Welthandelshäuser. Neue Recherchen zeigen, dass vor allem Basler Unternehmen am internationalen Sklavenhandel beteiligt waren. Die Geschichte eines Dreiecksgeschäfts.

Von Ewald Billerbeck

Wenn vom Kolonialwarenlädeli die Rede ist, kommt Gemütlichkeit auf. Die gute alte Zeit. Doch der Begriff Kolonialwaren ist historisch in einem reichlich ungemütlichen Umfeld angesiedelt: dem Sklavenhandel. Schauplatz Nantes, im 18. Jahrhundert. Die bretonische Atlantikstadt ist für die Grossmacht Frankreich wichtigster Hafenplatz im Überseehandel. Im vorgelagerten Paimboeuf wird ein Schiff mit teurer Ware beladen. Die Hafenarbeiter schleppen Ballen feinster Seide, verschiedene Baumwollstoffe und Indienne-Tücher unter Deck. Die leichten, mit farbiger Orientalornamentik bedruckten Indiennes aus Baumwolle sind gross in Mode. In Stückzahlen von mehreren Tausend kommen weitere europäische Güter hinzu, Scheren, Essbesteck, Krüge, Porzellanwaren; in Fässern oder Flaschen Branntwein, Likör und Weine. Auch Waffen in grosser Zahl werden an Bord gebracht, Dolche, Gewehre, Schiesspulver, Blei.

Für dieses Unternehmen mit kostbarer Ladung braucht der Reeder potente Teilhaber; solche, die bereit sind, die Risiken auf hoher See und fernen Märkten einzugehen. Mehrere Firmen partizipieren als Ausrüster und Financiers, zeichnen Anteilscheine und hoffen auf Gewinn. Mit Aufwand heuert der Kapitän eine zuverlässige Mannschaft an; sie ist grösser als üblich. Auch ein Chirurg befindet sich an Bord, als das Schiff in Nantes ablegt und mit Ziel Afrika ausläuft, wo sich in Cape Coast (im heutigen Ghana), in Vieux Calabar (Nigeria) und anderen westafrikanischen Küstengebieten grosse Sklavenmärkte befinden.

Kräftige, schöne Sklaven

In Afrika werden die Waren gegen Menschen eingetauscht. Die Händler betrachten es als ein Geschäft von Ware gegen Ware; die begehrten Tücher, die Waffen und anderen Schiffsgüter gegen die aus dem Hinterland angeschleppten, in Küstenforts gefangen gehaltenen und zwischengelagerten Schwarzen. Man begutachtet die Qualität der Männer, Frauen und Kinder für ihre künftige Verwendung. Gesundheit, kräftige Konstitution und Schönheit sind Kriterien bei der Preisgestaltung, sie bestimmen den Profit beim späteren Verkauf als Sklaven. Zur Geschäftsförderung beim Warentausch werden die Menschenhändler auf dem westafrikanischen Markt zusätzlich mit Geschenken aus Frankreich geködert; Gefälligkeiten helfen zudem gegen die Konkurrenz anderer Handelsschiffe vor Ort, namentlich jener unter englischer Flagge. Und jetzt nimmt auch der Chirurg seine Aufgabe wahr. Er untersucht die vorgeführten nackten Schwarzen, beriecht Schweiss und Urin, tastet mit den Fingern Geschlechtsteile, Brüste und After ab. Dann wird der Menschenware mit einem glühenden Eisen das Schiffszeichen am rechten Arm eingebrannt - unauslöschliches Zeichen für das Los der Sklaverei.

Das Los der aus ihrer Heimat Entführten beginnt in Käfighaltung. In den Schiffsbauch verfrachtet, legt man sie nach Lagerungsplänen dicht gereiht in Pferche, kettet sie an und sichert sie mit Handschellen und Halseisen, die Männer durch nagelgespickte Holzwände von den Frauen und Kindern getrennt. Die Bullaugen werden versperrt, die Segel Richtung Amerika gesetzt. Unter Deck wird gelitten und gestorben. Schätzungsweise 10 bis 15 Prozent der geschundenen, schlecht ernährten Schwarzen überleben eine solche Überfahrt nicht. Und brechen an Bord Krankheiten aus, können es weit mehr sein. In der Karibik steuert der Kapitän die französische Kolonie Saint Domingue (Haiti) an, um die schwarze Fracht dort an die Plantagenbesitzer zur Sklavenarbeit zu verkaufen. Den Erlös setzt er in Kolonialwaren um. Dann kehrt das Schiff, mit Zucker, Kakao, Kaffee und anderen in Europa gefragten exotischen Gütern beladen, zurück nach Nantes.

Transatlantisches Dreieck

Das Geschäft nennt sich transatlantischer Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und Amerika. Luxuswaren gehen von Europa nach Afrika, Luxuswaren kommen von Amerika nach Europa zurück, dazwischen der Sklavenhandel als Verbindungsglied. Die weissen Baumwollherren und Spekulanten hoffen auf Profit, für viele Schwarze ist es eine Reise ohne Hoffnung.

Einen Eindruck davon gibt der Bericht des Sklaven Olaudah Equiano. Als zehnjähriger Knabe wurde er, vermutlich 1755, aus Nigeria verschleppt und an der Küste auf ein englisches Sklavenschiff verladen. Jahre später konnte er sich in Amerika freikaufen. Er suchte in England eine neue Heimat und schloss sich dort dem Kampf für die Abschaffung der Sklaverei an. In seinen 1789 in London erschienenen Aufzeichnungen erinnert sich Equiano an die Zustände auf der Sklavenfahrt in die
Karibik.

Die Schwarzen wurden im zum Bersten gefüllten Unterdeck wie Vieh gehalten. In Schmutz, Notdurft und unerträglichem Gestank erstickte der Junge beinahe. Als er wie andere vor Übelkeit das Essen verweigerte, wurde er auf Deck ausgepeitscht. Gleich verfuhr man mit jenen, die über Bord zu springen versuchten, um durch den Tod dem Elend zu entrinnen. Auch er selbst wäre gern gesprungen, schreibt Equiano, doch oben wurde man scharf bewacht, während unten die schmerzenden Ketten die Lage noch verschlimmerten. "Das Schreien der Frauen und das Ächzen der Sterbenden machten das Ganze zu einer Szene des unvorstellbaren Grauens."

Im transatlantischen Dreieck, und damit im europäischen Sklavenhandel, der von den Kolonialmächten Frankreich und England dominiert wurde, operierten auch mehrere im Welthandel tätige Schweizer Firmen; unter ihnen die angesehenen Basler Kaufmannshäuser Burckhardt, die Grosshandel mit Baumwolle und Kolonialwaren betrieben. Christoph Burckhardt-Merian führte das Stammhaus Christoph Burckhardt & Cie. im "Segerhof" an der Basler Schifflände, sein Sohn mit gleichem Namen gründete 1790 in Nantes die Zweigfirma Bourcard Fils & Cie., die sich auf den Kolonialwarenhandel konzentrierte. Damit lief die Beteiligung am Sklavenhandel vor allem über das Haus in Nantes - mit väterlichem finanziellem Rückhalt.

Licht auf Schattenseiten

Im Vorfeld zum jetzigen Uno-Jahr zur Sklaverei wurde 2003 eine Reihe von Vorstössen beim Bund und in verschiedenen Kantonsparlamenten eingereicht mit der zentralen Forderung nach historischer Aufbereitung des heiklen Kapitels Schweizer Firmen im Sklavenhandel. Jetzt gibt es eine solche Aufbereitung. Gestützt auf Quellen des Segerhof-Archivs, das sich im Umfang von sechzig Laufmetern im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv in Basel befindet, hat ein Forscherteam die Geschäftstätigkeit der Burckhardt'schen Handelshäuser um 1800 studiert und eingehender beschrieben als in früheren Untersuchungen (siehe "Verderbliche <Ware> an Bord der <Intrépide>", Seite 77).

Dieses Wochenende stellt der Christoph-Merian-Verlag als Herausgeber die Publikation an der Basler Buchmesse vor. Das Buch ist nicht nur ein wichtiger Beitrag über Schattenseiten in der Wirtschaftsgeschichte, es zeigt auch die politischen Einflüsse auf Handel und Sklaverei nach der Französischen Revolution und in der napoleonischen Umbruchzeit auf, Einflüsse etwa durch den französischen Protektionismus oder die Kontinentalsperre. Es gibt Einblick in den Kampf um die Abschaffung der Sklaverei und in die Sklavenaufstände in den Kolonien. Und vor allem gibt es Aufschluss über die vielfältigen Verflechtungen der Firmen, die mittel- oder unmittelbar am Sklavenhandel partizipierten. So beteiligte sich die Basler Handelsgesellschaft Frères Merian von Anfang an finanziell an Christophe Bourcards Firma in Nantes. Der eine der Frères war der Vater des bekannten, mit reichem Erbe bedachten Stifters Christoph Merian. Mit dem Buch scheuen Stiftung und Verlag also auch die Aufarbeitung der eigenen Vorgeschichte nicht.

Im Drang nach Unabhängigkeit, wohl auch unter Erfolgsdruck gegenüber seinem Vater in Basel liess sich Bourcard auf riskante Beteiligungen an Handelsfahrten über den Atlantik ein; und dies ausgerechnet zu einer Zeit, als der Ruf nach Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei immer lauter wurde, durch Vertreter der Aufklärung etwa, durch französische Revolutionäre und religiöse Kreise in England. Und nicht zu überhören war dieser Ruf auch für jene, die fernab der Sklavenfrachten in vornehmen Geschäftshäusern sassen. So hatte der Philanthrop Isaak Iselin, um nur ein Beispiel aus Basel zu nennen, schon längst den Sklavenhandel als unvereinbar mit den Menschenrechten scharf verurteilt.

Aufständische gepfählt

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts besassen die mit Indienne-Tüchern handelnden Schweizer Firmen eine monopolartige Stellung in Nantes, entsprechend nahe standen sie dem französischen Sklavenhandel, der hauptsächlich von dort ausging. Und schon Jahre bevor Christophe Bourcard mit seiner Kommanditgesellschaft in der bretonischen Stadt einstieg, pflegten die Burckhardts geschäftliche Beziehungen mit andern Schweizer Firmen in Frankreich, die Schiffe für den transatlantischen Sklavenhandel ausrüsteten. Eng waren die Verbindungen zwischen der Firma Christoph Burckhardt & Sohn, Vorgängerin des Burckhardt'schen Segerhof-Konzerns, und dem Unternehmen der Gebrüder Emmanuel und Nicolas Weis in La Rochelle, die ebenfalls aus der Stadt am Rheinknie stammten.

Ein weiterer Geschäftspartner war das Basler Handelshaus Riedy & Thurninger in Nantes, welches auf seiner Niederlassung in Saint Domingue Sklavenverkäufe an die Plantagenbesitzer durchführte. Und ebenfalls in Nantes fungierten Pelloutier, Bourcard & Cie. (letzterer ein entfernter Verwandter) als Partner für Sklaventransporte. Ein Netz von Verflechtungen im kapitalintensiven Dreiecksgeschäft.

Gehen wir noch etwas weiter zurück, so finden wir heimische Namen auch in der fernen Karibik im kolonialen Geschäft, unter anderem dargestellt in einem Aufsatz von Hans Werner Debrunner über Basel und den Sklavenhandel. Der Kaufmann und Söldneroffizier Isaak Faesch zum Beispiel stieg unter der niederländisch-westindischen Kompanie in den 1730er Jahren zum Gouverneur der Antilleninsel Curaçao vor Venezuela auf. Er besass eigene Sklaven und sorgte auf der Plantage der Kompanie für Ruhe und Ordnung. Als es 1750 zu einer Sklavenerhebung kam, liess er die Aufständischen durch eine Bürgerwehr massakrieren; die abgeschlagenen Köpfe der Schwarzen wurden auf Pfählen am Hafen zur Schau gestellt.

Faeschs früherer Sekretär Johann Hoffmann verdiente sein Geld durch Sklavenhandel von den karibischen Inseln auf das südamerikanische Festland, der sogenannten Kleinen Fahrt. Eine Passage aus Hoffmanns Geschäftskorrespondenzen sagt manches aus über den Umgang der weissen Herren mit den Sklaven: "Bitte kaufen Sie auf meine Rechnung etwa 30-35 Köpfe Sklaven im Alter von 15 bis 16 Jahren. Bezahlen Sie aber nicht mehr als 70-75 Peseten pro Stück." Mit zwei Drittel Mädchen und einem Drittel Buben werde der Ankauf für ihn vorteilhaft sein, fuhr Hoffmann fort, vorausgesetzt die Ausgesuchten seien frei von Gebrechen und "Gesichten".

Schweizer Kaufleute betrieben sowohl auf den Antilleninseln wie auf dem Festland eigene Plantagen mit Sklaven. In einer wirtschaftshistorischen Studie berichtet Niklaus Röthlin von Verwandten Isaak Faeschs, die als Handelsleute von Amsterdam aus Verbindungen zu den niederländischen Kolonien hatten und durch Heirat reiche Plantagenbesitzer in Surinam im Nordosten Südamerikas wurden. Insbesondere aber beleuchtet der Autor die langjährigen Geschäftstätigkeiten der Handelshäuser Thurneysen und Pourtalès auf der westindischen Insel Grenada. Nachdem die Zuckerrohrinsel, immer wieder ein Spielball kolonialer Interessen, von Frankreich an England übergegangen war, kauften 1771 Johann Jakob Thurneysen aus Basel und Jacques-Louis Pourtalès aus Neuenburg dort vier Plantagen. Auf Grenada bewirtschafteten damals über 26 000 Sklaven 334 Güter; ihnen standen lediglich etwa 1600 Europäer gegenüber.

Blickt man über Basel hinaus auch in die übrige Schweiz, wäre die Liste jener Firmen und Familien erheblich zu verlängern, welche in die Sklaverei verstrickt waren oder vom Sklavenhandel profitierten. Genfer Banken wie Thellusson et Necker, Cottin und andere finanzierten via Nantes den Handel mit Sklaven. Die Waadtländer Firma Illens et Van Berchem rüstete in Marseille Sklavenschiffe aus. Die Berner Bank Marcuard und die Zürcher Bank Leu kauften Aktien der französischen Compagnie des Indes, die eine dominierende Stellung im westafrikanischen Sklavenhandel hatte.

Auch die Zürcher Bank Rougement, Hottinguer & Cie. investierte in den Dreieckshandel. Mitglieder mehrerer Genfer Handels- und Bankiersfamilien, aber auch Familien aus St. Gallen, Schaffhausen, Appenzell und weiteren Kantonen besassen oder leiteten Plantagen in Surinam und anderen Kolonialgebieten. Angesehene Schweizer Kaufmannsfamilien, unter anderem aus Neuenburg und Zürich, zogen aus ihren Verbindungen mit dem Dreieckshandel zum Teil Profite.

Zurück zu Christophe Bourcard in Nantes. Der mit etlichen Risiken verbundene Sklavenhandel, der namentlich im Burckhardt'schen Stammhaus in Basel eher eine untergeordnete Rolle spielte, brachte ihm letztlich kein Glück. 1792 schickte er als Hauptinvestor die "Intrépide" unter Kapitän Ker Masson auf die Reise - ein Vabanquespiel angesichts der Sklavenaufstände, die in den Karibikkolonien nach der Französischen Revolution ausbrachen. Der grosse Coup endete denn auch im grossen Fiasko, die Auseinandersetzungen um die Verluste und Entschädigungen zogen sich endlos dahin.

Zwei Jahrzehnte später war Europa durch die napoleonischen Kriege verändert. 1807 hatte England den Sklavenhandel aufgehoben. Bourcard, inzwischen hoch verschuldet, sah im Wegfallen der englischen Konkurrenz noch einmal eine Chance und investierte 1815 in zwei Expeditionen - eine mit der Brigg "Petite Louise" und eine mit der wesentlich grösseren "Cultivateur". Als aber die Engländer letztere im westafrikanischen Vieux Calabar beschlagnahmten, wähnte er sich am Ende und beging im Oktober 1815 Selbstmord. Er erlebte nicht mehr, wie das Schiff wenig später wieder freikam und das Unternehmen "Cultivateur" zum Schluss erheblichen Gewinn abwarf. Ironie des Schicksals. Über das Schicksal der Sklavinnen und Sklaven auf dem Schiff mit dem schönen Namen allerdings wissen wir nichts.

Hans Werner Debrunner: Basel und der Sklavenhandel. Basler Stadtbuch 1993.

Niklaus Röthlin: Koloniale Erfahrungen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 1991.

Hans Fässler: Internet-Dokumentation Schweiz/Sklavenhandel. Auf der Projekt-Homepage www.louverture.ch.

Niklaus Stettler, Peter Haenger, Robert Labhardt: Baumwolle, Sklaven und Kredite. Die Welthandelsfirma Christoph Burckhardt & Cie. in revolutionärer Zeit (1789-1815). Christoph-Merian-Verlag, Basel 2004.