NZZ vom 15. September 2005

Sitzung des Zürcher Gemeinderats
Von rauchfreien Zonen bis zum Sklavenhandel

Ein Abend mit breiter Themenpalette

urs. Manchmal scheint sich der Gemeinderat bei den zuerst traktandierten Geschäften nicht verausgaben zu wollen, um seine Batterien für die Behandlung scheinbar marginaler Vorstösse zu schonen. So ist es am Mittwochabend geschehen. Das Stadtparlament winkte je eine EWZ-Vorlage zur Beteiligung an der Swisspower AG und zum Sponsoring verschiedener Veranstaltungen relativ zügig durch. Auch sprach es sich ebenso einhellig gegen eine Einzelinitiative zur einheitlichen Gestaltung von Taxis aus, wie es einen Beitrag von 150 000 Franken zur Unterstützung jener Kantone bewilligte, die von den jüngsten Überschwemmungen besonders betroffen sind.

Kaum umstritten war auch die Eindämmung des blauen Dunstes im Rathaus. Mischa Morgenbesser (fdp.) lieferte dabei ein Beispiel dafür, wie ein liberaler Geist ein Teilverbot adäquat tarnen kann. In einem Beschlussesantrag hatten er und Daniel Leupi (gp.) Folgendes gefordert: «Das Büro des Gemeinderates bezeichnet den Bereich, wo während des Ratsbetriebs geraucht werden kann.» Was wie die Schaffung einer Möglichkeit klingt, ist das Gegenteil: Bisher hatten nikotinabhängige Gemeinderäte fast überall ausserhalb des Ratssaals rauchen dürfen und dies namentlich in der Lobby auch ausgiebig getan. Damit ist jetzt Schluss. Die meisten Fraktionen befanden aus nachvollziehbaren Gründen reinere Luft im Ratsbetrieb für angebracht. Trotz einigen Gegenstimmen - die meisten davon aus den Reihen der SVP - wurde das Vorhaben gutgeheissen.

Das war alles nur Vorgeplänkel zu jenem Traktandum, das für die längste und intensivste Debatte sorgte. Es ging um ein vor 19 Monaten eingereichtes, also gut abgehangenes AL-Postulat, dem schliesslich mit hauchdünnem Mehr das Reifezeugnis ausgestellt wurde. Gemäss Postulatstext soll die Stadt Zürich ihre Verflechtung mit dem transatlantischen Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert von Historikern aufarbeiten lassen oder schon begonnene Forschungsprojekte zum Thema unterstützen. Diese allzu grosszügige Interpretation des städtischen Pflichtenhefts wurde von der Linken geschlossen mitgetragen, während die bürgerlichen Fraktionen einschliesslich CVP/EVP mit Kopfschütteln reagierten.

Postulantin Renate Schoch (al.) hatte ihre vage Forderung mit einer Interpellation unterlegt. Darin folgerte sie, gestützt auf ein Bündel an Rechercheergebnissen, dass Zürich schon damals in das europäische Netz von Handelsbeziehungen und somit in das Problem der Sklaverei involviert gewesen sei. Es gelte die von weiten Bevölkerungskreisen geteilte «offizielle Lehrmeinung» zu revidieren, gemäss der unsere Ahnen diesbezüglich über eine reine Weste verfügt hätten. Anja Recher (al.), die ihre nicht mehr im Rat wirkende Parteikollegin vertrat, legte sich mächtig in die Riemen. Geschichtslehrer Kurt Maeder (cvp.) liess sich hierdurch nicht davon abhalten, mit einem etwas langfädigen historischen Proseminar das Anliegen zu zerpflücken, wohingegen Berufskollege Werner Sieg (sp.) den Vorstoss unter seine Fittiche nahm: Wenn die Stadt in archäologischen Bereichen forschen lasse, die niemanden interessierten, stünde es ihr gut an, auch in die Aufarbeitung der Neuzeit zu investieren.

Für solche Unterfangen gibt es auf Bundesebene genügend Instrumente und Gefässe. Stadtpräsident Elmar Ledergerbers Einwand, das Finanzieren solcher Forschungsprojekte gehöre nicht zu den Aufgaben der Stadt, traf den Nagel auf den Kopf. Doch seine Genossinnen und Genossen im Schlepptau der Grünen und Alternativen liessen sich nicht von ihrem Durst nach wissenschaftlicher Erkenntnis abbringen, zumal sie Parallelen zur Aufarbeitung der helvetischen Rolle im Nationalsozialismus witterten. 60 zu 60 lautete das Stimmenverhältnis schliesslich, so dass es Ratspräsident Peter Stähli (sp.) vorbehalten blieb, dem Vorstoss per Stichentscheid zum Durchbruch zu verhelfen. Niklaus Scherr (al.) hatte übrigens früher am Abend vorgeschlagen, das EWZ-Sponsoring auf Lehrstühle auszuweiten. Ob er nun darüber nachdenkt, wie sich diese Idee mit dem Wunsch nach Forschung zum Sklavenhandel verquicken liesse? Sei's drum. So verquer das Anliegen der Postulantin und ihrer Mitstreiter aus ordnungspolitischer Sicht auch ist, muss man ihnen eines zugute halten: Sie haben gestern Abend die einzige Debatte angezettelt, die - trotz Niveau- Schwankungen - diese Bezeichnung verdient.