Briefe an die NZZ

Schweizer Beitrag zur Sklaverei

Zwei Interpellationen haben hierzulande die Schweizer Beteiligung an Sklaverei und Sklavenhandel thematisiert. Im Nationalrat wurde die St."Gallerin Pia Hollenstein (Grüne) aktiv, im bernischen Grossen Rat Michael Kaufmann (sp.). In den Antworten wurde bestätigt, dass Schweizer am Dreieckshandel beteiligt gewesen waren, zu welcher Zeit auch immer. Was an dieser Debatte erstaunt, ist die Tatsache, dass just jener unerwähnt blieb, der möglicherweise am kräftigsten ins Feuer geblasen hatte: Karl Ludwig von Haller, Enkel des grossen Albrecht. Haller hatte im dritten Band seiner berühmten "Restauration", die der Epoche ihren Namen gab, den "Tätern" erst die Legitimation geliefert, zum Sklavenhandel keine skeptischen Fragen zu stellen. Sklaverei war für Haller eine "beständige Dienstbarkeit" gegen "beständigen Lebensunterhalt", "und in diesem Begriff liegt an und für sich nichts allzu Hartes oder Unmenschliches." Die Sklaverei verdanke oft ihren Ursprung der Menschlichkeit, indem man Feinde nicht töte, sondern ihnen die Gelegenheit gebe, "beständigen Dienst" zu leisten. Man verkaufe auch nicht Sklaven, sondern das Recht auf deren Arbeit, schrieb Haller 1818. Dass die Kinder von Sklaven versklavt waren, auch dafür bot Haller Erklärungen: Im Erwachsenenalter könnten sie die Kosten für Wohnung, Nahrung und Unterricht durch Arbeit wettmachen.

Die "Restauration" wurde immerhin im preussischen Königshaus täglich vorgelesen und stark beachtet. Sie wurde ins Französische, Italienische und Lateinische übersetzt. Haller rühmte sich auch, in Schulen gelehrt und von der Kanzel gepredigt zu werden. In Sachen Sklaverei beeinflusste er vor allem Thomas Carlyle. Dessen "Occasional Discourse on the Nigger- Question" 1853 trägt eindeutig hallersche Züge.

Man sollte also ob des Sklavenhandels nicht übersehen, auch die üble theoretische Grundlegung zu untersuchen, die der grösste Schweizer Staatstheoretiker von internationaler Ausstrahlung, der "Restaurator" Haller, seinen handelsfreudigen Zeitgenossen bot.

Ronald Roggen (Luzern)

[Neue Zürcher Zeitung, 11.09.2003, Nr. 210, S. 55]