Fässlers Antwort auf Güntzels Zorn

Karl Güntzel war «vertäubt». Das St. Galler Parlament hatte in der Junisession gegen den Willen der Finanzkommission, der SVP und FDP dem Historiker Hans Fässler einen Beitrag aus dem Lotteriefonds gewährt. Das Resultat war zwar knapp, aber eben eindeutig: 15 000 Franken für ein Buch über die Verstrickungen von Schweizer Handelsherren in den Sklavenhandel. Im Zorn setzte der SVP-Kantonsrat einen Text für eine Interpellation auf: Es gebe noch weitere Kapitel in der Geschichte des Kantons, «in denen völkerrechts- und menschenrechtswidriges Verhalten ungeahndet blieben und bis heute nicht aufgearbeitet wurden». Beispiel: Die Schlacht bei Vögelinsegg im Jahr 1403.

Man kann Fässler allerhand ankreiden. Dass er einer öffentlichen Debatte ausweicht, bestimmt nicht. Und so nutzte er Güntzels Steilpass. Er schrieb dem SVP-Kantonsrat: «Sehr geehrter Herr Güntzel, Nach der Lektüre Ihrer Interpellation möchte ich Sie heute anfragen, ob Sie evtl. mein persönlicher historischer Mitarbeiter werden möchten. Ich bin nach eingehendem Studium Ihres Interpellationstextes der festen Überzeugung, dass Sie hervorragend geeignet wären, diejenigen Fragen einer öffentlichen Diskussion zuzuführen, welche auch mich bewegen: Wann ist Geschichte vorbei und wann lebt und schmerzt sie noch? ( . . .) Wie vergleicht man 300 Tote (Schlacht bei Vögelinsegg) mit rund 15 Millionen Zwangsdeportierten, 1 Million Toten und einem ausgebluteten Kontinent (400 Jahre Sklaverei)? . . .» Der Fragen waren



Fässler, Moderator Müller und Güntzel (Bild St. Galler Tagblatt)


noch viele, die Ironie aber hatte bald bitterem Ernst zu weichen. Karl Güntzel durfte am Donnerstagabend gleich öffentlich auf die Fragen eingehen - auf Tele Ostschweiz (TVO) in «Ostschweiz im Gespräch». Um es vorwegzunehmen: Er hatte einen schweren Stand gegen Hans Fässler. Zumindest auf dem Feld der Geschichte. Die Quellen über die Schlacht bei Vögelinsegg seien samt und sonders aufgearbeitet, konterte Fässler. Der Vergleich der Schlacht von Vögelinsegg mit einem Menschheitsverbrechen «ist an der Grenze der Verächtlichmachung der Opfer der Sklaverei» - falls Güntzel seinen Vorstoss nicht ironisch gemeint habe. Er wolle die Opfer bestimmt nicht beleidigen, darum gehe es nicht, erwiderte Güntzel. Aber es könne nicht die Aufgabe des Staates sein, solche Buchprojekte finanziell zu unterstützen. «Ich bin hier nicht als Historiker, sondern als Politiker. Und als solcher habe ich der Regierung eine Frage gestellt.» Er wolle eine Antwort darauf, nach welchen Kriterien die Regierung solche Projekte unterstütze. «Sie können nicht eine historische Debatte anreissen und sich dann so herausreden», parierte Fässler. Hier der einstige Anti-Apartheids-Aktivist im blauen T-Shirt, dort der bürgerliche Jurist in Anzug und Krawatte: Aktivist Fässler will auch die unangenehmen Winkel der Schweizer Geschichte ausleuchten, in Güntzels Augen wird dies «einseitig und nicht mehr objektiv» betrieben. So wertet er selbst den Bergierbericht. Verlangt Fässler Klarheit über die einstigen Verstrickungen der Schweiz in den Sklavenhandel oder in die Beziehungen zum südafrikanischen Apartheidregime, fordert Güntzel mit unbewegter Miene die Aufarbeitung der Folgen des Kommunismus. «Auch das ist nötig. Setzen wir uns zusammen», sagt Hans Fässler. Die Sendezeit ist knapp, viele Fragen noch offen, aber die Debatte über Schuld und Sühne ist lanciert.  

Andreas Fagetti