Kantonsrat Schaffhausen
Kleine Anfrage Matthias Freivogel (SP) vom 17. Februar 2003

"Aufarbeitung von Schweizer und Schaffhauser Beteiligung an Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven im Kontext heutiger Ereignisse von abschätzbar ähnlicher Tragweite"


I. Vorbemerkung
Im Zusammenhang mit der Diskussion, welche an der UNO-Konferenz von Durban (Südafrika) über afrikanische Entschädi-gungsforderungen an die Adresse Europas geführt worden ist, wurde in der Schweiz einmal mehr die Überzeugung geäussert, dies alles gehe unser Land wenig an, weil wir mit Sklaverei, Sklavenhandel und Kolonialismus kaum etwas zu tun gehabt hät-ten. Dabei haben namhafte Historiker aufgezeigt, dass über die grossen seefahrenden Nationen Spanien, Portugal, England, Frankreich und Holland hinaus der ganze europäische Kontinent durch ein weitreichendes Netz von Handels- und Finanzbeziehun-gen in den Dreieckshandel Europa–Afrika–Amerika–Europa mit einbezogen war, ja dass der wirtschaftliche Aufschwung Europas vom 16. – 19. Jahrhundert bis hin zur Industrialisierung zu einem beträchtlichen Teil auf diesen spezifischen ökonomischen Beziehungen und damit auch auf inhumaner Sklaverei sowie transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven beruhte.

Darüber hinaus führt nun aber schon ein lediglich kursorisches Studium verschiedener Werke und Aufsätze zur Sozial- und Wirt-schaftsgeschichte der Schweiz im 18. Jahrhundert sowie eine Neulektüre älterer Standardwerke zur überraschenden Erkennt-nis, dass die schweizerische Verflechtung mit Sklaverei und Dreieckshandel weit enger war als bisher bekannt. So finden sich in praktisch allen relevanten Tätigkeiten des Handels mit Sklavinnen und Sklaven schweizerische Akteure: Vom Gründer ei-ner Sklavenhandelsburg vor der Küste Westafrikas über den Ree-der, Financier, Versicherer und Aktienbesitzer von Sklaven-schiffen bis hin zum Besitzer oder Aufseher von Plantagen, zum Offizier und Soldaten im Kampf gegen revoltierende Sklavinnen und Sklaven sowie zum Kaufmann im Geschäft mit Gütern für den Dreieckshandel (Textilien) und Kolonialwaren (Zucker, Kaffee, Baumwolle, Indigo).

Auch in Schaffhausen finden sich Spuren der Einbindung in die-ses schweizerische und europäische Netz von Finanz- und Han-delsbeziehungen. Gut dokumentiert ist das Handelshaus Amman, welches mit den Sklaverei- und Kolonialprodukten Indigo, Baum-wolle, Zucker und Kaffee (teilweise aus Surinam und Saint Do-mingue, dem nachmaligen Haiti) ansehnliche Profite erzielte. Des weiteren ist auf den Landsitz "Berbice" oberhalb des Rheinfalls hinzuweisen, welchen Johann Konrad Winz (1757-1828) wohl mit den Gewinnen aus seiner Zeit in Surinam als Leiter und Besitzer verschiedener Kaffee-Plantagen samt Sklavinnen und Sklaven erbauen liess. Winz gelangte 1816 in den Schaff-hauser Kleinen Rat, sein Sohn wurde um die Jahrhundertmitte Bürgermeister und Regierungspräsident von Schaffhausen. Und schliesslich war es ein Schaffhauser Hauptmann namens Johann Kaspar Wipf, der jenes Schweizer Bataillon befehligte, das 1803 im Auftrag Napoleons auf Haiti mithelfen sollte, die Sklaverei wieder einzuführen.


II. Warum ein parlamentarischer Vorstoss
Gemäss Geschäftsordnung kann in einer kleine Anfrage u.a. Aus-kunft über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse verlangt werden. Nach den vielen Feierlichkeiten in den letzten Jahren zu historisch wichtigen Daten (z.B. 500 Jahre Mitgliedschaft in der Eidgenossenschaft) erscheint es durchaus angemessen, auch diese Seite unserer Geschichte für einen Moment ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu stellen. Dies um so mehr, als vor kurzem aus den Vereinigten Staaten von Amerika erneut For-derungen gegen mehrere Schweizer Firmen, insbesondere auch ge-gen Georg Fischer, laut geworden sind, die darin gründen, die-se alt eingesessene Schaffhauser Firma habe angeblich Mate-riallieferungen in den Irak getätigt, die zur unerlaubten Auf-rüstung dieses von UNO-Sanktionen betroffenen Landes beigetra-gen haben könnten. Weiter sei auf die Problematik der viel zu hohen Preise von Schweizer (und Schaffhauser?) Medikamenten in Afrika zur Bekämpfung von Aids und Krebs hingewiesen. Um so-dann ein umfassendes Bild der Beurteilung der Sklavereiproblematik durch die Kantone und den Bund zu erhalten, werden in einer konzertierten Aktion in mehreren kantonalen Parlamenten sowie im Nationalrat gleichartige Vorstösse eingereicht.


III. Ich ersuche den Regierungsrat um die Beantwortung der folgenden Fragen:

1) Wie bewertet - auch im Kontext zeitgenössisch vergleichba-rer Ereignisse - der Regierungsrat die Tatsache, dass Teile der schweizerischen Wirtschaft und Gesellschaft und auch des Kantons Schaffhausen offenbar vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts viel enger mit der Sklaverei in der Neuen Welt und dem dazugehörigen transatlantischen Han-del mit Sklavinnen und Sklaven verknüpft waren, als es der Öffentlichkeit und der herkömmlichen Geschichtsforschung bisher bewusst war?

2) Hat der Regierungsrat diese Facette unserer Vergangenheit anlässlich der vergangenen, unseren Kanton betreffenden Feierlichkeiten bewusst nicht einbezogen? Wenn ja, warum? Wenn nein, war ihm die Sklavereiproblematik bis anhin nicht, oder doch zu wenig bekannt?

3) Ist der Regierungsrat bereit, angesichts der Tatsache, dass von afrikanischer Seite aus nicht nur immer deutlicher der Ruf nach Aufarbeitung der europäischen (und arabischen) Be-teiligung an Sklaverei und Kolonialismus, sondern auch nach eigenverantwortlichem Handeln seitens der afrikanischen Zi-vilgesellschaften ertönt (was heute bei der Aidsbekämpfung deutlich wird), die oben skizzierte Verknüpfung Schaffhau-sens mit Sklaverei und transatlantischem Handel mit Skla-vinnen und Sklaven, eventuell im Kontext mit ähnlich gela-gerten, aktuellen Vorkommnissen, aufarbeiten zu lassen und/oder diesbezügliche Bemühungen seitens schaffhauseri-scher, schweizerischer und/oder anderer Historikerinnen oder Historiker zu unterstützen?

4) Wie stellt sich der Regierungsrat zur Schlusserklärung der UNO-Konferenz von Durban 2001, welche auch die Schweiz un-terzeichnet hat: "Wir bedauern, dass Sklaverei und Sklaven-handel entsetzliche Tragödien der Menschheitsgeschichte wa-ren; nicht nur wegen ihrer abscheulichen Barbarei, sondern auch angesichts ihres Ausmasses, der Art ihrer Organisation und vor allem der Negierung des Wesens der Opfer. Wir er-kennen ferner an, dass Sklaverei und Sklavenhandel ein Ver-brechen gegen die Menschheit sind ..." Ist der Regierungs-rat bereit, Vorstellungen zu entwickeln, wie sich der Kan-ton Schaffhausen an einer - wohl vorab symbolischen - Geste der Wiedergutmachung seitens der Schweiz beteiligen könnte, sollte eine wissenschaftliche Aufarbeitung die These von der weit reichenden schweizerischen Mitbeteiligung bestäti-gen, unter anderem z.B. durch Einbezug des Landsitzes "Ber-bice" in Neuhausen am Rheinfall in das Projekt "La Route des Esclaves" der UNESCO?