Grosser Rat des Kantons Bern
Interpellation Michael Kaufmann (SP)

Schweizer und Berner Beteiligung an Sklaverei und Sklavenhandel – die Geschichte aufarbeiten

Anlässlich der UNO-Konferenz von Durban (2001) zu afrikanischen Entschädigungsforderungen an die europäischen Länder, welche am Sklavenhandel bis Ende des 19. Jahrhunderts beteiligt gewesen sind, wurde der Schweiz attestiert, sie habe «mit Sklavenhandel und Kolonialismus nichts zu tun gehabt». Offensichtlich waren vor allem die seefahrenden Nationen Europas sowie später die junge USA zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert am weitreichenden Netz der Handels- und Finanzbeziehungen beteiligt.

Dazu gehörte insbesondere auch der Sklavenhandel mit schwarzen Menschen aus Afrika – bzw. deren Ansiedlung und Rückführung von und nach Zentral- und Nordamerika. Der sogenannte "Dreieckshandel" mit Finanzen, Rohstoffen, Waren sowie – wie Waren behandelten – Menschen war ein Grundpfeiler der wirtschaftspolitischen Vorherrschaft der jungen Industrieländer – und der USA. Der "Wohlstandseffekt" dieser Zusammenhänge ist bis heute eine Basis "westlicher Vorherrschaft", der Diskriminierung von Menschen und der ökonomischen Auseinanderentwicklung zwischen Norden und Süden.

Die neue Geschichtsschreibung in der Schweiz, zeigt auf, dass der von den UNO-Gremien noch im Jahre 2001 ausgestellte Blankoscheck für die Schweiz überhaupt nicht gerechtfertigt ist.

Im Gegenteil: Laut heute bereits älteren geschichtswissenschaftlichen Forschungen (u.a. Lüthy 1959, Peyer 1968, Meyer 1969) und insbesondere einer zusammenfassenden und vertieften Recherche des St.Galler Historikers Hans Fässler (2002) waren schweizerische Handelshäuser und Banken sowie einzelne Schweizer Patrizierfamilien sehr wohl und sehr direkt an den kolonialistischen Transaktionen und damit auch am Sklavenhandel beteiligt. Hierzu verweisen wir auf die Dokumente und Recherchen von Hans Fässler, welche auf www.louverture.ch im Detail dokumentiert und öffentlich zugänglich sind.

Aus den Dokumenten geht hervor, dass auch bernische Familien und Handelshäuser mit von der Partie gewesen sind. Darunter u.a. die damalige Berner Bank Marcuard, der Berner Bankier Emmanuel Haller (als enger Verwandter der berühmten Albrecht von Haller).sowie Westindien-Aktien-Besitzer und Zeichner von Kolonialanleihen breite Kreise des Berner Patriziats. Im Roman "Die Mohrin" des Berner Schriftstellers Lukas Hartmann (1995) werden diese Zusammenhänge aus bernischer Sicht angetönt und am damaligen Alltag in der Schweiz gespiegelt. Die Frage ist demnach auch, was der Staat Bern sowie seine Exponenten der damaligen Zeit für eine Funktion ausgeübt haben.

Die Geschichte dieser "kolonialen Schweiz" (und auch des kolonialen Bern) gehört demnach zu einem der verdrängten Kapitel unserer Geschichtsschreibung und unseres Geschichtsbewusstseins. Sie muss erst noch aufgearbeitet werden.

Der Regierungsrat wird deshalb beauftragt, folgende Fragen zu beantworten:

1. Ist sich der Regierungsrat der Tatsache bewusst, dass die Schweiz und auch der damalige Kanton Bern (insbesondere bernische Patrizierfamilien, Handelshäuser und Banken) am Dreiecksgeschäft beteiligt waren und welche allgemeinen Schlussfolgerungen zieht er daraus?

2. Hat sich der damalige Kanton Bern als "Staat" um die Tätigkeiten der bernischen Handelshäuser und Banken im Kolonialgeschäft gekümmert, gab es irgendwelche Regelungen oder Gesetze und hatte die damalige Öffentlichkeit Kenntnis davon?

3. Ist der Regierungsrat bereit, diesen dunklen Fleck der Schweizer und Berner Geschichte aufzuarbeiten und entsprechende Abklärungen durch Historikerinnen und Historiker in Auftrag zu geben, bzw. mit zu unterstützen?

4. Kann sich der Regierungsrat vorstellen, dass sich der Kanton Bern an den im Rahmen der UNO diskutierten Wiedergutmachungen beteiligt?

5. Wie distanziert sich der Regierungsrat im Sinne der von der Schweiz im Jahre 2001 unterzeichneten Schlusserklärung der UNO-Konferenz von Durban vom damaligen unmenschlichen und tragischen Sklavenhandel und der damit verbundenen Diskriminierung und wie will er auch für die Zukunft ein Zeichen setzen?