Antwort des Bundesrates auf die Interpellation Hollenstein "Schweizer Beteiligung an Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven"

Ad 1: Die Schweiz war nie eine Kolonialmacht und unterschied sich damit auf der Ebene verantwortlichen staatlichen Handelns grundlegend von diesen. Trotzdem waren verschiedene Schweizer Bürger mehr oder weniger stark am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt, was der Bundesrat aus heutiger Perspektive zutiefst bedauert Diese Tatsache ist jedoch bekannt und wurde bereits in mehreren Arbeiten hervorgehoben, wie auch der Text der Interpellation unterstreicht.


War es dem Bundesrat auch bekannt ? ist es der Schweizer Öffentlichkeit bekannt ? Oder tut der BR nur so, jetzt wo er die Fakten mit der Interpellation schön präsentiert bekommt? Wenn es allgemein bekannt ist, warum kann denn ein führender Schweizer Diplomat im Zusammenhang mit Durban festhalten, die Schweiz habe "mit Sklaverei, Sklavenhandel und Kolonialismus nichts zu tun gehabt" ? Warum kann die "Eidgenössische Kommission gegen Rassismus" noch 2002 schreiben: "La Suisse n’a été ni une puissance coloniale, ni participé à l’esclavage."?

Wie hätte die Schweiz eine Kolonialmacht im Stile der Nationalstaaten England und Frankreich sein können, wenn es "die Schweiz" als verantwortlich staatlich handelnden Akteur ja noch gar nicht gab? Macht es einen grossen Unterschied, ob Schweizer Bürger aus der gesellschaftlichen Führungsschicht am Verbrechen der Sklaverei partizipieren oder ob es der Staat war ? In Frankreich und Englad war es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend nicht mehr der Staat, weil die (Sklaven-)Handelsmonopole nicht mehr zu halten waren und der Handel immer mehr privatisiert wurde.

Die entscheidende Frage ist nicht, ob die Schweiz eine Kolonialmacht war oder nicht, sondern ob sie am gesamteuropäischen ökonomischen System der Ausbeutung Afrikas und der neuen Welt durch Sklavenhandel, Plantagenwirtschaft und Kolonialwarenhandel partizipiert und davon profitiert hat.

Ad 2: An der Sklaverei und am Sklavenhandel waren viele Staaten beteiligt. Der Bundesrat ist deshalb der Ansicht, dass die veschiedenen Aspekte der Sklaverei und des Sklavenhandels auf internationaler Ebene und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft behandelt werden müssen.

Gerade die Geschichte der historischen Aufarbeitung von Sklaverei und SklavInnenhandel zeigt, dass dies am besten national geschieht, weil hier die richtigen Fragestellungen gemacht werden und die Kompetenz der Forschenden und die Archivzugänge vorhanden sind. So hat eben England vor allem die englische Verwicklung aufgearbeitet, Frankreich die französische und Holland ist dabei, die holländische zu untersuchen. Erst wenn genügend nationale Studien vorliegen (die selbstverständlich auch international, d.h. in ausjändischen Archiven arbeiten), kann man an eine europäische Gesamtschau gehen.

Aus diesem Verständnis prägte die Schweiz in Durban die Erklärung und das Aktionsprogramm der Weltkonferenz gegen Rassismus mit, welche hervorheben, dass Sklaverei und Sklavenhandel, Apartheid und Völkermord Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen und wichtige Ursachen und Erscheinungsformen des Rassismus sind und dass der Kolonialismus zu Rassismus geführt hat (vgl. §13, 14 und 15 des Aktionsprogramms; vgl. auch § 99 ff. der Erklärung). Sie brachte klar zum Ausdruck, dass das in der Zeit des Kolonialismus und der Sklaverei begangene Unrecht kritisch aufgearbeitet werden muss. Für die Aufarbeitung stehen die üblichen Instrumente der Wissenschafts- und Forschungsförderung zur Verfügung. Die Schweiz hat sich auch mit personellen und finanziellen Mitteln zur Umsetzung des Aktionsprogramms engagiert, namentlich durch die Fachstelle für Rassismusbekämpfung und den Fonds "Projekte gegen Rassismus und für Menschenrechte".

Ad 3: Der Bundesrat ist wie unter Punkt 2 erwähnt der Auffassung, dass die verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit dem Sklavenhandel auf internationaler Ebene behandelt werden müssen. Deshalb versucht die Schweiz eine vermittelnde Rolle zwischen afrikanischen Staaten und ehemaligen Kolonialmächten zu spielen, namentlich in der UNO-Menschenrechtskommission. Die Schweiz wirkt deshalb in den zwei Arbeitsgruppen mit, welche die Menschenrechtskommission eingesetzt hat, um den an der Weltkonferenz gegen Rassismus eingegangenen politischen Verpflichtungen Folge zu leisten. In den Arbeitsgruppen wirken auch Experten der Zivilgesellschaft mit.

Anschliessend sei noch angefügt, dass der Bundesrat zwar bereit ist, die politisch notwendige Aufarbeitung der Vergangenheit zu unterstützen. Er sieht aber dort eine Grenze, wo sich durch den Lauf der Zeit durch die verjährende Wirkung der Generationenfolge die Verantwortlichkeit heutiger Generationen für Fehler der Ahnen verflüchtigt hat.

Die Bereitschaft des Bundesrates, die politisch notwendige Aufarbeitung der Vergangenheit zu unterstützen, ist erfreulich und wird vermerkt. Und mit Blick auf die internationale (afrikanische, karibische, US-amerikanische) Diskussion ist sie tatsächlich politisch notwendig.

Nach internationalem Recht verjähren Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord nicht. Und gerade um solche Verbrechen handelt es sich genäss der Konferenz von Durban und auch gemäss dem Bundesrat bei der Sklaverei. Was heisst überhaupt "die verjährende Wirkung der Generationenfolge"? Wieviele Generationen müssten das gemäss BR etwa sein? Gibt es also, in Umkehrung des Schlusses des Bundesrates, nach einer gewissen Anzahl Generationen noch eine Verantwortlichkeit heutiger Generationen für Fehler der Ahnen? Oder gibt es vielleicht noch europäische und besonders schweizerische Reichtümer, Vermögen, Entwicklungschancen, die sich nicht verflüchtigt sondern Früchte getragen haben? Und haben sich die Benachteiligung und Unterentwicklung ganzer Kontinente durch Sklaverei und Sklavenhandel etwa auch verflüchtigt?